Zu Unrecht im Schatten

Personalmanagement

Gegenüber Persönlichkeitstests in der Führungskräfteauswahl und -entwicklung gibt es einige Vorbehalte. Dabei bieten sie für Unternehmen und Mitarbeiter ein großes Potenzial – wenn ein wissenschaftlich fundiertes und für den Arbeitskontext entwickeltes Verfahren genutzt wird.

Extrovertiert, authentisch, selbstbewusst, inspirierend, cholerisch, charismatisch: Wir alle beschreiben Führungskräfte anhand von Persönlichkeitseigenschaften. Diese werden jedoch kaum systematisch erhoben – zu groß sind die Vorbehalte gegenüber Persönlichkeitstests in deutschen Unternehmen. Welche Aussagekraft besitzen sie? Dringen sie nicht ungerechtfertigt in die Privatsphäre der Bewerber ein? Schrecken sie gute Mitarbeiter nicht ab? Die Unsicherheit ist groß. Wird ein fundierter Test jedoch richtig eingesetzt, kann dies für Personalauswahl und -entwicklung von großem Nutzen sein.

Mitarbeiter verlassen nicht Unternehmen, sondern Führungskräfte

Die Ergebnisse der Willis Towers Watson Global Workforce Studie (GWS) aus dem Jahr 2014 zeigen eindrücklich die Bedeutung guter Führung. Fehlendes Vertrauen in das Top-Management und die Beziehung zur direkten Führungskraft gehören zu den zentralen Gründen, warum Mitarbeiter Unternehmen verlassen. Nicht nur das, die Effektivität der direkten Vorgesetzten und des Managements sind die wichtigsten Einflussfaktoren für ein nachhaltiges Mitarbeiterengagement (siehe Abbildung 1). Diese Zusammenhänge lassen sich in konkrete Zahlen übersetzen: Unternehmen mit nachhaltig engagierten Mitarbeitern erreichen zum Beispiel einen über 18 Prozent höheren EBIT als ihre Peers, wie Daten von Willis Towers Watson belegen.

Macht man sich bewusst, dass laut Studie nur 48 Prozent der Mitarbeiter weltweit der Meinung sind, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen effektiv führen, wird deutlich, dass ein großer Handlungsbedarf besteht. Es reicht nicht aus, die Vertriebsmitarbeiterin mit den besten Umsatzzahlen zur Führungskraft zu befördern und darauf zu vertrauen, dass sie den neuen Job schon gut machen wird. Es gilt, Wege zu finden, Mitarbeiter mit Führungspotenzial frühzeitig zu identifizieren und sie gemäß ihrer Stärken und Entwicklungsfelder individuell zu fördern. Doch wie gelingt das?

Persönlichkeit gewinnt

Fragen Sie Ihre Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter oder denken Sie an Ihre eigenen Erfahrungen. Wann immer Sie gute oder schlechte Führungskräfte beschreiben – meist wird das Ergebnis auch eine Auflistung von Persönlichkeitseigenschaften beinhalten. Die Forschung stützt dieses intuitive Alltagsverständnis. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Persönlichkeit einer Führungskraft Einfluss auf ihren Führungserfolg hat. Verschiedenste Anbieter aus Wissenschaft und Praxis bieten daher Testverfahren an, die einen Einblick in diese wichtige Facette von Führungspotenzial versprechen. Während solche Persönlichkeitstests im angloamerikanischen Raum bereits weit verbreitet sind, zögern deutsche Unternehmen noch. Laut eigenen Angaben nutzen weniger als ein Viertel Persönlichkeitstests.

In der Beratungspraxis begegnen mir häufig ethische und rechtliche Bedenken gegen solche Verfahren. Kunden stellen Fragen wie „Ist das nicht ein ungerechtfertigtes Eindringen in die Privatsphäre der Mitarbeiter?“ oder „Dürfen wir diese Daten überhaupt erheben?“ Auch wird die Aussagekraft solcher Tests, die in der überwiegenden Anzahl auf einer Selbsteinschätzung der Teilnehmenden beruhen, in Zweifel gezogen: „Die Bewerber sagen doch nur, was wir hören wollen.“
Solche Bedenken sind zu berücksichtigen, sprechen aber nicht per se gegen den Einsatz von Persönlichkeitstests im Personalmanagement. Im Gegenteil. Die Forschung zeigt: Richtig genutzt versprechen Persönlichkeitstests bei der Führungskräfteauswahl präzisere Ergebnisse als das von vielen Personalern präferierte Interview (siehe Abbildung 2). Auch in der Personalentwicklung können sie einen wertvollen Beitrag leisten, um Stärken und Entwicklungsfelder zu reflektieren und bedarfsgerechte Maßnahmen zu definieren.

Entscheidend ist, welches Verfahren ausgewählt und wie die Ergebnisse genutzt werden. Bei sachgerechter Anwendung lassen sich dann auch die genannten Bedenken weitgehend ausräumen.

Die Spreu vom Weizen trennen

Auf dem Markt findet sich eine Fülle an Persönlichkeitstests von fraglicher Qualität. Einige Testverfahren wurden ursprünglich zur Diagnose von psychisch kranken Menschen entwickelt; sie sind für den beruflichen Kontext ungeeignet. Fragen nach der Qualität von Paarbeziehungen oder dem Verhalten auf Geburtstagsfeiern lassen Zweifel am Schutz der Privatsphäre wachsen. Andere Testverfahren nutzen wissenschaftlich fragwürdige Modelle. Bei der Auswahl eines Testverfahrens sollte man daher immer darauf achten, dass es von fachlich qualifizierten Experten nach einem fundierten wissenschaftlichen Modell und explizit für den beruflichen Kontext konstruiert wurde. Der berufliche Bezug der Fragen ist nicht nur relevant für die Aussagekraft der Ergebnisse und die Akzeptanz eines Tests bei den Mitarbeitern, sondern auch rechtlich zwingende Voraussetzung für die betriebliche Anwendung solcher Verfahren.

Darüber hinaus lassen sich Persönlichkeitstests grundsätzlich anhand von definierten Testgütekriterien beurteilen, was den technischen Vergleich unterschiedlicher Tests erleichtert. Anbieter seriöser Verfahren sollten Angaben zu solchen Werten transparent zur Verfügung stellen. Besonders entscheidend ist hier die Validität eines Tests, die eine Antwort darauf gibt, ob ein Test wirklich das misst, was er messen soll und ob er wirklich relevante Erfolgskriterien, wie zum Beispiel Führungserfolg, vorhersagen kann (für Details zu Testgütekriterien vgl. Peter Saville & Tom Hopton, 2014).

Neben diesen Mindestanforderungen an psychometrische Testverfahren sollte man sich insbesondere bei Persönlichkeitstests auch auf das eigene Urteilsvermögen verlassen. Am einfachsten ist es, den Test einmal selbst durchzuführen: Sind die Fragen relevant für den jeweiligen Kontext? Passen sie zur Organisation? Welche Botschaft senden die Fragen an den Nutzer? Die Antwort auf diese Fragen wird die Akzeptanz des Tests und damit den Erfolg seiner Anwendung bei den Mitarbeitern maßgeblich beeinflussen.

Mehrwert nur bei richtiger Anwendung

Mit der Auswahl eines geeigneten Testverfahrens ist es nicht getan. Der entscheidende Mehrwert ergibt sich erst durch die richtige Anwendung des Tests und seiner Ergebnisse. Starten Sie mit der Frage: Welche Eigenschaften muss jemand für eine Rolle mitbringen? Persönlichkeit ist, von einigen psychopathologischen Extremausprägungen abgesehen, nie per se gut oder schlecht. Zwar zeigen Studien, dass bestimmte Eigenschaften wie zum Beispiel Extraversion gute Führungskräfte über verschiedene Rollen und Unternehmen hinweg auszeichnen, dennoch beeinflussen Kontextfaktoren wie zum Beispiel die spezifische Position, der Bereich, die strategische Ausrichtung, die Unternehmenskultur, das Marktumfeld oder die Branche, auf welche Persönlichkeitseigenschaften es ankommt. Eine Möglichkeit in der Praxis ist es, Profile von erfolgreichen Positionsinhabern auszuwerten und auf dieser Basis Anforderungen zu definieren.

In einem Beratungsprojekt von uns konnte beispielsweise durch den Einsatz solcher Profile im Auswahlprozess die Anzahl der High Performer im Vertriebsbereich einer Financial-Service-Organisation verdreifacht werden. Wenn Sie klar aufzeigen können, warum bestimmte Eigenschaften für bestimmte Rollen wichtig sind, verbessert das nicht nur die Aussagekraft der Ergebnisse, sondern steigert auch die Akzeptanz bei allen im Prozess Beteiligten.

Selbsteinschätzung, validiert durch weitere Maßnahmen

Sollten Sie jetzt also keine Interviews mehr führen und nur noch Persönlichkeitstests nutzen? Nein, denn kein Test reicht alleine aus. Die große Mehrheit der gängigen Tests beruht auf einer Selbsteinschätzung der Bewerber. Das macht Sinn, da nur die Führungskraft selbst die abgefragten Auskünfte über ihr individuelles Erleben und ihre Motive geben kann. Allerdings sind die Ergebnisse genau vor diesem Hintergrund zu betrachten. Erhoben wird immer ein Selbstbild, das im Auswahlkontext nie als alleiniges Entscheidungskriterium herangezogen werden sollte, sondern durch ergänzende Informationen zum Beispiel in Form von strukturierten Interviews oder gegebenenfalls eines umfassenderen Assessment- beziehungsweise Development-Centers validiert werden muss. Die Ergebnisse eines Persönlichkeitstests helfen, die Aussagekraft anderer Verfahren zu steigern und ermöglichen, zum Beispiel im Rahmen eines Interviews das Selbstbild einer Führungskraft gegen die Rollenanforderungen zu spiegeln und schnell und effizient die kritischen Fragen hinsichtlich der Passung zu identifizieren.

Im (Personal-)Entwicklungskontext ist der Einsatz solcher Selbsteinschätzungsverfahren weniger kritisch zu sehen. Dennoch sollten die Ergebnisse auch hier nicht ohne Validierung bleiben. Ein gemeinsames Feedback-Gespräch, in dem das Persönlichkeitsprofil kritisch hinterfragt wird, kann einen Prozess der Reflektion über das eigene Selbstbild der Führungskraft und dessen Einfluss auf das Umfeld anstoßen. Erst nach einem solchen Gespräch durch einen qualifizierten Feedback-Geber sollten die Ergebnisse genutzt werden, um individuelle Entwicklungsmaßnahmen abzuleiten.

Effizientere Auswahlprozesse

Persönlichkeitstests bieten für Unternehmen und Mitarbeiter ein großes Potenzial, wenn ein wissenschaftlich fundiertes und für den Arbeitskontext entwickeltes Verfahren genutzt wird, wenn klar bewertet und aufgezeigt wird, welche Persönlichkeitseigenschaften für die Führungskräfte relevant sind und wenn die Tests als einer von unterschiedlichen Bestandteilen in der Auswahl und Entwicklung eingesetzt werden. Persönlichkeitstests können den Auswahlprozess effizienter und valider machen und als Ausgangspunkt für eine individuell zugeschnittene Entwicklung dienen.

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Florian Frank

Leiter Bereich Rewards, Talent & Communications
Willis Towers Watson

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