Empathie über Profit

Rezension

Im Prolog seines Sachbuchs lädt Sven Korndörffer in sein Elternhaus ein, in dem er Wertschätzung von klein auf kennenlernte. Die Gastfreundschaft seiner Eltern und ein fast immer volles Haus machten ihm früh bewusst, wie wichtig es ist, auf Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören, sich auf neue Ideen einzulassen und verbindliche Beziehungen aufzubauen. Heute plädiert er für mehr Empathie in der Arbeitswelt und kritisiert die Kluft, die oft zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften klafft.

In Die Wertschätzungskette führt Korndörffer anekdotenreich und persönlich durch die verschiedenen Dimensionen werteorientierter Führung. Jedes Kapitel widmet sich einer Dimension, insgesamt zehn auf 288 Seiten. Als Vorsitzender der Wertekommission setzt sich Korndörffer seit vielen Jahren für eine werteorientierte Führung ein. In Apropos Werte, das er gemeinsam mit Christiane Harriehausen zum 15-jährigen Bestehen der Wertekommission veröffentlichte, sowie in früheren Publikationen machte er sich bereits für die Bedeutung von Werten stark. Werteorientierte Führung ist für Korndörffer also ein Herzensthema, nicht zuletzt, weil auch er in der Vergangenheit Führung ohne ehrliches Interesse erlebt hat. Deshalb fällt es ihm heute, wo er sich überwiegend in der Rolle der Führungskraft befindet, leicht, sich auch in die umgekehrte Perspektive hineinzudenken.

In seinem direkten Schreibstil wirkt er ehrlich und authentisch, wenn er über seine persönlichen Erfahrungen und Haltungen berichtet. Auf unterhaltsame Weise zieht er hin und wieder kuriose Vergleiche. So unternimmt er im Kapitel über Fühlbarkeit einen Exkurs nach Hogwarts – und vergleicht schlechte Führungskräfte mit Dementoren. So wie die bösen Wesen in der Welt von Harry Potter den Menschen die Seele aus dem Leib saugen, so saugen manche Führungskräfte ihren Mitarbeitenden die Gefühle aus. Ein übertriebener Vergleich? So radikal Korndörffer in seinen Formulierungen ist, so nachvollziehbar belegt er sie. Im Verlauf des Buchs argumentiert er immer wieder sachlich und evidenzbasiert, teilt dabei Erkenntnisse aus aktuellen Studien und illustriert sie mit praxisnahen Beispielen. Die beruhen meist auf eigenen Erfahrungen oder gesellschaftlichen Ereignissen.

In einem weiteren Kapitel widmet sich der Autor der Glaubwürdigkeit und fordert eine doppelte Gewinn- und Verlustrechnung, die durch Glaubwürdigkeit und Vertrauen ergänzt wird. Unternehmen, so Korndörffer, profitieren mit ihren Gewinnen von der Gemeinschaft – und sollten daher auch umgekehrt in das Wohlergehen der Gemeinschaft einzahlen. Ebenso prognostiziert er negative Folgen, wenn Menschen mit einem falschen Wertesystem führen: Leistungs- und Motivationsverlust, sinkende Erwartungshaltung der Mitarbeitenden, weniger Engagement, weniger Neugier und weniger Zusammenhalt. Korndörffer schlägt hier drei Kernkompetenzen vor, die helfen sollen, Brücken zwischen den Führenden und dem Wertesystem der Geführten zu bauen. Dazu gehören empathische Kontaktfähigkeit, radikale Offenheit und eine (politische) Meinung. Eine klare Verantwortung der Führungskräfte sieht der Autor in der politischen Positionierung. So beschreibt er sie als Unternehmensbürger, die eine Doppelrolle als Staatsbürger einnehmen. „Je komplizierter die Welt wird, desto mehr erwarten Menschen von ihren Führenden Orientierung“, argumentiert er.

Im weiteren Verlauf des Buchs dekonstruiert Korndörffer Macht und Autorität in Unternehmen, geht auf die Bedeutung guter Führung für die Generation Z ein und nimmt Bezug auf Führung in Zeiten künstlicher Intelligenz. Außerdem erklärt er, warum es mehr Frauen in Führungspositionen braucht und warum sich Führung und Menschlichkeit niemals ausschließen sollten. Abschließend erläutert Korndörffer, warum Führungskräfte sich immer wieder selbst reflektieren müssen.

Korndörffer sieht in den Führungskräften eine wichtige Rolle für die Gesellschaft. Das wird sehr deutlich. Ebenso klar zeigt er auf, warum Wertschätzung in jedem Unternehmen ihren Platz haben muss. Seine Erfahrungen und Forderungen rege n dazu an, über die eigene Führung oder den erlebten Führungsstil nachzudenken. Was im Buch allerdings zu kurz kommt, sind konkrete Tipps zur Umsetzung: Was können Führungskräfte tun, um ihren Mitarbeitenden empathischer zu begegnen? Welche konkreten Maßnahmen braucht es in Unternehmen? Aber vielleicht liegen die Antworten nach der Lektüre des Buchs ja auf der Hand.

Informationen zum Buch:

Sven Korndörffer: Die Wertschätzungskette. Warum wir uns Chefs ohne Empathie nicht­ ­leisten können. Econ, 288 Seiten, 24,99 Euro. Erschienen im
Februar 2024.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Tech. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Salome Häbe

Salome Häbe ist Volontärin beim Magazin Human Resources Manager. Sie hat im Bachelorstudiengang Internationale Kommunikation in den Niederlanden studiert und nebenbei freiberuflich für Magazine und Start-ups im Bereich der Nachhaltigkeit geschrieben.

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