Sebastian Hotz: Männlichkeitskult

Rezension

Vor einigen Jahren saß Sebastian Hotz an seinem Schreibtisch und langweilte sich. Er war damals bei Siemens Dual-Student. Alle Namensschildchen hatte er bereits laminiert. Und nun? Zum Zeitvertreib teilte Hotz die Eindrücke seines Arbeitsalltages auf Twitter. Heute ist er Internetstar, Online-Humorist, Instagram-Poet – im SZ-Porträt nennt er sich „Witzfigur“. Alle scheinen schon einmal von ihm gehört, etwas von ihm gelesen, zu haben. Doch viele fragen sich: Was macht der eigentlich? Der 27-Jährige nennt sich im Netz El Hotzo, erreicht mit seinen Aperçus ein Millionenpublikum auf Twitter und Instagram und ist unter anderem Autor für Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale.

El Hotzo twittert leichtfüßige Notizen über das gesellschaftliche und politische Geschehen und Pointiertes aus dem Einerlei des Büroalltags, etwa: „Warum sind Arbeits-Mails so förmlich, ‚Sehr geehrter Herr …‘, bitte beruhig dich Annemarie, wir sind zwei Menschen an Computern, die beide keinen Bock auf das hier haben, drop den Emoji, schick das Katzen-GIF, schreib ‚guten Mörgelchen‘, es ist alles egal“. Neben trockenen Feststellungen wie „Für Dackel ist Minigolf einfach Golf“ wird er gern auch politisch: „Die größte Kritik der CDU an der AfD ist, dass sie ihr die Stimmen wegnimmt.“ Manchmal hilft er mit Listicles aus: „Top 5 Bedrohungen fürs Vaterland: Windräder, Menschen, die sich lieben, Sterne in Worten, Essen ohne Fleisch, glückliche Kinder“. Er schafft dabei mit seinen Gags etwas, das viele Comedy-Kollegen älteren Semesters nicht hinbekommen: Hotz zeigt, Humor geht auch ohne Tritte nach unten. Der Wahl-Berliner offenbart sich als brillanter Beobachter mit präzisem Blick für menschliche Schwächen, vor allem jene von Männern.

Aber kann El Hotzo auch etwas schreiben, das zusammenhängend als ganze Geschichte funktioniert? Einen Roman? Er kann. Im April erschien Mindset, eine Hommage an all die Coaches, Motivationstrainer und Achtsamkeitsexperten, die dem männlichen Teil der Bevölkerung zu Ruhm und Ehre verhelfen wollen. Meistens veranschaulichen sie ihre Motivationssprüche mit martialischer Tiermetaphorik à la „Einen Löwen interessiert es nicht, was Schafe über ihn denken!“ Sebastian Hotz‘ Protagonist Maximilian Krach findet das äußerst einleuchtend und wandelt den Vergleich aber noch etwas ab: Bei ihm sind die wahren Macher, die Erfolgsgeküssten, Wölfe. „Das einzige Tier, das die Macht hat, vom Schaf zum Wolf zu werden, ist der Mensch“, verspricht der Lifestyle-Coach seinen Jüngern in seinem Seminar „Genesis Ego“ in einem tristen Seminarraum in Mülheim an der Ruhr. In der dazugehörigen Whatsapp-Gruppe gehen dann alle gemeinschaftlich der Frage nach: Bentley oder Porsche? Dass sie zum Teil gar kein Auto besitzen, sondern sich den beruflichen Erfolg nur gegenseitig vorspielen? Geschenkt. Was es für den Weg nach oben braucht? Der selbst ernannte Business-Guru Maximilian Krach weiß die Antwort und erinnert immer wieder an seine persönliche Dreifaltigkeit: Mindset. Disziplin. Ego. Jüngstes Mitglied dieser Gruppe ist Mirko, die zweite Hauptfigur des Romans. Er arbeitet als IT-Techniker bei einem Mittelständler in Gütersloh, ist seit zehn Jahren immer noch „der Neue“, klickt sich durch die Service-Tickets, mäandert durch die Sphären von kicker.de, Sportbild.de und Spiegel Online. Aktualisieren, scrollen. Das Wochenende verbringt er in der virtuellen Belanglosigkeit seines Smartphones.

Der Seminarbesuch bei Maximilian Krach wird ihn verändern. Diese Geschichte ist jedoch keine Geschichte über persönliches Wachstum, kein Coming of Age für Berufstätige sozusagen, sondern eine äußerst feinsinnige Realsatire, die den Lesenden die ganze Tragikomik nahebringt, in der Männer feststecken, wenn sie versuchen, Männlichkeits- und Erfolgsideale zu erfüllen. Am Ende ist es eine Geschichte über Unsicherheit. „Wie sollen Männer denn nun sein?“, wird El Hotzo in Interviews oft gefragt. Das sei gar nicht so schwer, sagt er dann und führt aus: „Es wäre wünschenswert, wenn Männer weniger Menschen umbringen und vor allem auch sich selbst weniger umbringen würden. Es ist wirklich nicht so anspruchsvoll, ein Mann zu sein.”

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Investition. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Jeanne Wellnitz (c) Mirella Frangella Photography

Jeanne Wellnitz

Redakteurin
Quadriga
Jeanne Wellnitz ist Senior-Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion Wortwert. Zuvor war sie von Februar 2015 an für den Human Resources Manager tätig, zuletzt als interimistische leitende Redakteurin. Die gebürtige Berlinerin arbeitet zusätzlich als freie Rezensentin für das Büchermagazin und die Psychologie Heute und ist Autorin des Kompendiums „Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren“ (2020) und der Journalistenwerkstatt „Gendersensible Sprache. Faires Formulieren im Journalismus“ (2022). Sie hat Literatur- und Sprachwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und beim Magazin KOM volontiert.

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