„Der Verlust von Kontrolle wird als bedrohlich erlebt“

Personalmanagement

Pendeln kostet nicht nur Zeit, sondern oft auch Nerven. Im Interview spricht Arbeitspsychologin Antje Ducki über die Stressoren des täglichen Arbeitsweges und mögliche Folgen für die Pendler.

Frau Professor Ducki, für Millionen Menschen gehört das Berufspendeln zum Alltag. Ist das ein Problem?
Das ist vor allem für diejenigen ein Problem, die täglich eine Stunde oder länger pendeln müssen und das über einen längeren Zeitraum. Wenn man eine begrenzte Zeit oder nur ab und zu solche Strecken zurücklegen muss, dann kompensiert man das einfach, nicht aber, wenn es zum Alltag gehört. Pendler haben, schon wenn sie länger als 45 Minuten pro Strecke täglich unterwegs sind, deutlich erhöhte Erschöpfungswerte und ein höheres Risiko für Atemwegserkrankungen. Bei Autofahrern kommt noch das Unfallrisiko hinzu. Das ist gut um das Zehnfache höher als das von Nichtpendlern.

Wodurch entstehen diese Belastungen?
Das ist abhängig von der Pendelform. Als Autofahrer hat man natürlich Stress durch das Verkehrsaufkommen, durch Stausituationen. Was aber letztlich die Stressursachen verstärkt, ist die Frage, inwieweit die Ereignisse, die da auf dem Arbeitsweg auf einen zukommen, vorhersehbar sind. Wenn ich weiß, auf meiner Strecke gibt es einen Abschnitt, in dem es eng wird, dann richte ich mich darauf ein. Kommt es aber unerwartet, wird es zum Problem. Und die zweite Frage ist: Ist die Situation freiwillig gewählt oder ist sie erzwungen?

Das klingt nach einem Gefühl des Ausgeliefertseins?
Genau. Psychologen sprechen von Kontrollverlust. Ich habe quasi meine Handlungsbedingungen nicht mehr im Griff. Der Verlust von Kontrolle wird als bedrohlich erlebt und das macht Stress.

Warum ist die Zeit, die Pendler unterwegs sind, so ein Knackpunkt?
Sie ist das sogar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen passiert natürlich bei längerer Dauer einfach auch mehr. Wie beim Beispiel der Autofahrer. Oder stellen Sie sich den öffentlichen Nahverkehr vor. Da ist es einfach ein Unterschied, ob ich fünf Minuten in einer vollgestopften U-Bahn stehe oder 20 Minuten. Die Intensität der Belastung nimmt über die Dauer zu. Und dann ist die Pendelzeit natürlich auch arbeitsgebundene Zeit, die für die Erholung fehlt. Und wenn man bedenkt, dass es Pendler gibt, die auf 14 Stunden arbeitsgebundene Zeit kommen, dann bleibt da nicht mehr viel für die Dinge, die noch neben der Arbeit anstehen. Angefangen vom Abholen der Kinder aus dem Kindergarten bis hin zur Pflege von sozialen Kontakten.

Wo beeinflusst Pendeln das Leben noch?
Besonders gravierend ist es bei Pendlern, die unter der Woche von ihren Familien und Freunden getrennt leben. Das ist eine doppelt belastete Situation. Unter der Woche sind sie von ihren Familien entfremdet und fühlen sich oft einsam. Wenn sie dann am Wochenende nach Hause kommen, entsteht noch einmal eine neue soziale Belastung, weil dann nämlich in der Familie die Anforderung entsteht, all das, was man unter der Woche gemeinsam nicht tun konnte, jetzt nachzuholen. Da ist ein Erfolgsdruck, der im Grunde nicht erfüllt werden kann. Das führt dann zu Frust und Enttäuschung und in längerer Perspektive auch durchaus dazu, dass sich Paare trennen.

Werden diese Probleme wahrgenommen?
Lange Zeit war das Thema nicht so sehr im Fokus betrieblicher Überlegungen. Aber so langsam wächst ein Bewusstsein dafür. Mit der Zunahme von mobilen Anwendungen und der Digitalisierung der Arbeitswelt sind natürlich auch ganz neue Möglichkeiten entstanden, Pendler zu entlasten. Beispielsweise indem man ihnen einen Home-Office-Tag ermöglicht, um mehr Kontakt zu der Familie zu haben. In manchen Unternehmen wird das schon gesehen und auch akzeptiert und praktiziert. Aber man muss da schon sehr unterscheiden, um welche Pendelform es sich handelt.

Wie bewerten Sie den Trend in der Arbeitswelt, von Mitarbeitern immer mehr Mobilität und Flexibilität zu verlangen?
Ich glaube, man kann das nicht pauschal beurteilen. Es kommt immer darauf an, wie ein Unternehmen das handhabt. Wenn ich von meinen Mitarbeitern nur einseitig Mobilität abverlange, und erwarte, dass sie hingehen, wohin ich will und wann ich das will, dann ist das ein großes Problem. Wenn es aber auf der anderen Seite auch eine Kompensation gibt, beispielsweise, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern ermöglichen, selber bestimmen zu können, was sie jetzt brauchen, zum Beispiel um familiären Anforderungen gerecht zu werden, dann ist das ein Umgang mit Flexibilität, den ich gut finde. Es muss ein gegenseitiges und faires Austauschverhältnis sein – kein einseitiges. Und es muss aushandelbar sein.

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Sven Pauleweit

Sven Pauleweit

Ehemaliger Redakteur Human Resources Manager

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