Ein Onlineshop, der keine Informationen über das Verhalten von Nutzerinnen und Kunden sammelt? Eine Social-Media-Strategie, die nicht auf Effektivität überprüft wird? Das ist undenkbar. Diese Daten sind Gold wert, sie bieten Transparenz und bestimmen die Richtung. Beziehen Unternehmen keine Daten in ihre Arbeit mit ein, laufen sie Gefahr, quasi im Blindflug an ihren Zielgruppen und deren Bedürfnissen vorbeizuarbeiten. Der Vertrieb, vor allem der E-Commerce, hat das seit Jahren verstanden. Was für Unternehmen dort funktioniert, fehlt jedoch oft noch im Recruiting. Skurrilerweise verlassen sich HR-Abteilungen häufig darauf, dass die passenden Kandidatinnen und Bewerber wie zufällig über die Stellenausschreibungen stolpern. Ganz nach dem Motto post and pray, also „einfach raus mit der Stellenanzeige, es wird sich schon irgendwann jemand passendes bewerben“. Das Ergebnis: Jobs, die mit unwahren oder veralteten Versprechen die falschen Personen anziehen.
Daten als Kern aller Maßnahmen – aber mit schlechten Voraussetzungen
Ich bin überzeugt davon, dass ein datengestütztes Recruiting einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für den (Geschäfts-) Erfolg ist. Erst der Einblick in relevante Daten ermöglicht es Unternehmen, fundierte Entscheidungen über Kanäle, Kampagnen und Budgeteinsatz zu treffen. Das größte Problem ist hier jedoch: Viel zu oft haben Recruiting-Verantwortliche keinen Zugriff auf die notwendigen Daten, um ihre Erfolge messen zu können – und damit keine Chance, die eigenen Aktivitäten anhand fundierter Zahlen zu optimieren. Und selbst wenn Daten vorliegen, fehlt häufig das Wissen, diese auch zu interpretieren und in die richtigen Maßnahmen zu übersetzen. Aber gerade auf der eigenen Karriereseite hätten alle Unternehmen die Möglichkeit, die Klicks von Jobinteressierten anonymisiert zu tracken und Learnings zu ziehen, neue Dinge zu testen und so immer besser zu werden. Die eigene Karriereseite könnte für Hiring Manager das sein, was für Mitarbeitende im Vertrieb der eigene Shop ist.
Vor allem, wenn Nutzerinnen und Kandidaten die Karriereseite unverrichteter Dinge wieder verlassen, ist es entscheidend, für Recruiting-Verantwortliche herauszufinden, wo genau das Interesse verloren gegangen ist. Ohne Daten ist die Beantwortung dieser Frage eine einzige Blackbox. Dabei verzeichnen reguläre Karriereseiten in der Regel schockierend hohe Absprungraten von 80 bis 90 Prozent. Diese potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten kommen oft durch bezahlte Kampagnen und gehen ohne eine weitere Aktion sofort wieder. Was läuft hier schief? Falsche Kampagne, falscher Kanal, unpassende Inhalte auf den Seiten – der Handlungsbedarf, aber auch das Verbesserungspotenzial, sind entsprechend enorm.
Genau deshalb geht es auch nicht nur darum, Recruiting-Verantwortlichen die Erhebung von Daten zu ermöglichen und sie im Umgang damit zu schulen, sondern auch die eigenen Kanäle auf eine datengestützte Arbeit zu optimieren. Die meisten klassischen Karriereseiten, die über die vergangenen fünf Jahre eingerichtet wurden, sind schlichtweg nicht für eine datengestützte Recruiting-Strategie ausgelegt. Karriereseiten werden oft primär aus Employer-Branding-Gesichtspunkten heraus gestaltet, um die Arbeitgebermarke und die Unternehmenskultur attraktiv und authentisch darzustellen. Jedoch fehlt in der Regel die Übersetzung auf das konkret zu vermarktende Produkt: den Job. Employer Brand ist zwar wichtig, jedoch nur mit dem Ziel, Jobangebote bestmöglich zu vermarkten, die Anzahl der Bewerbungen datengestützt zu maximieren und stets weiter zu optimieren. Fehlt diese Verbindung aus Employer Branding und Job Branding, bleiben die Daten wertlos: Eine Arbeitgebermarke ist nur so wertvoll wie die Jobs, die sie bündelt.
Conversion Rate, Verweildauer und Co. – auf diese Kennzahlen kommt es an
Zur Grundausrüstung einer erfolgreichen Recruiting-Strategie gehört somit die Einführung eines Daten-Dashboards, das die wichtigsten Zielgruppendaten in Echtzeit ausspielt. Gerade weil wir Dashboards bislang gedanklich eher in Data- oder IT-Teams verortet haben, ist wichtig festzuhalten: Dieses Dashboard gehört ins Recruiting. Nur hier können die Daten sinnvoll interpretiert und in die richtigen Maßnahmen übersetzt werden.
- Die wichtigste Kennzahl ist die sogenannte Conversion Rate, die das Verhältnis von Karriereseiten-Besuchenden zu Bewerbungen in Prozent misst. Je höher die Conversion Rate, desto besser funktionieren die Inhalte auf der Karriereseite und den Zubringer-Kanälen. Dabei kann diese Zahl generell für die Karriereseite oder spezifisch je Stelle gemessen werden – beides ist wichtig.
- Die sogenannte Application Abandonment Rate misst, wie viele Personen den Bewerbungsprozess im letzten Moment abgebrochen haben. Im E-Commerce wären das Abbrüche im Warenkorb. Wird die Bewerbung zwar angebahnt, aber nicht abgeschlossen, ist das teuer. Es gilt, durch gezielte Tests herauszufinden, warum das der Fall ist.
- Gleiches gilt für die Bounce Rate. Diese Kennzahl gibt an, wie viel Prozent der User von einer Karriereseite ohne eine weitere Interaktion abspringen. Eine hohe Bounce Rate kann beispielsweise darauf hindeuten, dass die vorgelagerten Zubringer-Kampagnen auf dritten Kanälen unpassend oder die Inhalte auf der Karriereseite selbst nicht ansprechend genug gestaltet sind.
- Weitere wichtige Kennzahlen sind die Anzahl der abgeschlossenen Bewerbungen pro Stelle und in Verbindung damit die Cost per Application. Zu wenig Bewerbungen je Vakanz führen zu einer schlechten Auswahlqualität, zu viele zu Zeitverschwendung und Engpässen der Recruiting-Verantwortlichen. Es gilt somit nicht zwingend die Faustregel, dass günstiger besser ist, sondern es geht um das bestmögliche Verhältnis aus Menge und Qualität.
- Außerdem hilft die Betrachtung der Verweildauer, Scrolltiefe sowie Interaktion auf allen Seiten, insbesondere jedoch auf den Stellenanzeigen, um die Attraktivität der Jobangebote für Kandidatinnen und Kandidaten einzuschätzen.
Welchen Mehrwert können Daten im Recruiting bieten?
- Über einen Zeitraum Veränderungen beobachten und Maßnahmen ableiten: Im Zeitverlauf lassen sich verschiedene Entwicklungen betrachten und auf verschiedene Einflüsse zurückführen: Gab es eine Social-Media-Kampagne, die einen besonders starken Anstieg von Seitenaufrufen verursacht hat? Gibt es bestimmte Tage oder sogar Tageszeiten, in denen sich bestimmte Zielgruppen vermehrt bewerben? Gibt es Muster, dass zum Beispiel Erstbesuche vom mobilen Endgerät erfolgen und Bewerbungen vom heimischen Desktop aus getätigt werden?
- Gut funktionierende Inhalte erkennen und verstärken: Gibt es bestimmte Titel von Stellenanzeigen, auf die besonders oft geklickt wird? Wie ist die Interaktion nach Öffnen derselben Stelle? Bei welchen Inhalten springen die meisten Nutzerinnen und Seitenbesucher ab? Was ist die ideale Verweildauer, bevor eine Person zur Bewerbung kommt?
- Unterschiedliche Bedürfnisse von Zielgruppen erkennen: Berufseinsteigende benötigen andere Informationen als Berufserfahrene, um sich für oder gegen einen Job zu entscheiden. Genauso wie bestimmte Jobprofile mit unterschiedlichen Inhalten überzeugen, suchen beispielsweise Fahrer gänzlich anders als Entwicklerinnen. Für manche Zielgruppen funktioniert Bewegtbild besonders gut, andere wiederum möchten eine kurze und knappe Übersicht aller Vorteile. Eine fortlaufende Optimierung mit dem Ziel, die besten Mitarbeitenden zu begeistern, funktioniert nur mit diesen Daten.
Fazit
Wer künftig genau die Talente gewinnen will, die das Unternehmen national und international zukunftsfähig machen und digitalisieren, braucht Daten. Gute Inhalte, eine spannende Arbeitgebermarke, transparente Stellenanzeigen, einfache Bewerbungsprozesse und eine datenbasierte Erfolgskontrolle sowie daraus resultierende fortlaufende Adaptionen sind elementar. Bis vor wenigen Jahren wurde eine Karriereseite in einem abgeschlossenen Projekt gestaltet und anschließend online gestellt. Heute geht es darum, anschließend wertvolle Daten zu erheben und das eigene Recruiting auf dieser Basis fortlaufend zu optimieren. Nur so können Unternehmen sich dem Preiskampf im stark zugespitzten Kampf um die besten Talente entziehen.