Hilfe, der Nachwuchs fehlt

Rezension

Ein Tweet von Tesla-Chef Elon Musk im Sommer dieses Jahres mag vielen im ersten Moment wie blanke Ironie vorgekommen sein. Der inzwischen zehnfache Vater schrieb nach der Geburt seiner jüngsten Zwillinge: „Doing my best to help the underpopulation crisis“. Doch er meinte es im Kern ernst und setzte nach: Der Geburtenrückgang sei die mit Abstand größte Gefahr für die Zivilisation. Schon in den vergangenen Jahren hatte der umstrittene Milliardär immer wieder vor den Folgen einer absehbar sinkenden Weltpopulation gewarnt. Auf Ursache und Dramatik dieser Entwicklung fokussiert sich auch Stepstone-CEO Sebastian Dettmers in seinem neuen Buch Die große Arbeiterlosigkeit. Auf den ersten Blick mutet das Thema seltsam an, schließlich verzerrt das Wort „Arbeiterlosigkeit“ zwei wohlvertraute Bedrohungsbilder plötzlich ins Gegenteil – Arbeitslosigkeit und Überbevölkerung. Die vielen Zahlen, Statistiken und Studien, die Dettmers auf rund 230 flüssig und meinungsstark beschriebenen Seiten an seine Argumentationslinie heftet, sprechen jedoch eine andere Sprache. Die skizzierte Abwärtsspirale sieht so aus: Mit der Arbeiterlosigkeit sinkt das wirtschaftliche Wachstum großer Volkswirtschaften und damit auch der Wohlstand. Im Anfangspart vergleicht er die wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten von China, den USA, Deutschland und dem Vereinigten Königreich, verweist später immer wieder auf historische Korrelationen und Umbruchsindikatoren. In allen genannten Ländern stagniert das Bevölkerungswachstum – und das wird immer drastischere Folgen haben. Weniger Arbeitskräfte stellen uns vor die Wahl: entweder die verbliebenen müssen mehr Zeit in Arbeit investieren oder sie müssen produktiver werden. Er setzt auf Letzteres.

Ruf nach Disruption

Dettmers macht weder aus seiner zutiefst liberalen Einstellung ein Geheimnis noch versucht er seine Funktion als Stepstone-Chef aus dem Buch herauszuhalten. Die latent aufkommende Eigenwerbung sei ihm als leidenschaftliche Führungskraft zugestanden. Teils pauschalisierende Aussagen über die von ihm hart kritisierten Hilfspakete für Unternehmen während der Coronapandemie sind allerdings streitbar. Zwar sind Disruption und Markterneuerung für den Erfolg einer Wirtschaftsnation entscheidend (was er vielfach betont). Doch es lassen sich schwerlich alle Unternehmen, die während einer globalen Ausnahmesituation ins Straucheln gerieten, als Zombie-Firmen abstempeln.

Insgesamt trifft Dettmers aber durchaus einen wunden Punkt: Zu lange schon ignorieren (oder verdrängen?) Deutschland und andere große Wirtschaftsnationen ein massives Problem, das unaufhaltbar auf sie zurollt. Gerade in Vorstandsetagen sollte das Buch daher Gehör finden: Es gilt der Arbeiterlosigkeit schleunigst etwas entgegenzusetzen. Zu seinen Lösungsvorschlägen gehören sinnvolle Maßnahmen wie die stärkere Automatisierung einfacher Tätigkeiten bei gleichzeitiger (Weiter-)Bildungsoffensive, eine bessere Infrastruktur für Erwerbsmigration, für die er das kanadische Punktesystem als mögliches Vorbild nennt, mehr Mut und Investitionen in Innovationen. Und: Visionen und Sinnstiftung, um Menschen zu mehr Produktivität zu bewegen. Auch für den Personalbereich hat er konkrete Tipps. Dettmers verlangt: Weg mit der Forderung nach Anschreiben und Lebensläufen! Schaut mehr auf die Haltung der Menschen und setzt auf den Quereinstieg!

Wohlstand versus Klima

Was allerdings wirklich zu kurz kommt in seinen Ausführungen, in denen er sich so intensiv mit der Zukunft der Volkswirtschaften beschäftigt, ist das Thema „Nachhaltigkeit“. Erst am Schluss antizipiert der Autor es als mögliche Angriffsfläche und schmettert sogleich Gegenrede ab: „Kritiker mögen einwenden, dass ein steigender Wohlstand den Ressourcenverbrauch steigert und den Klimawandel beschleunigt. Ich aber sage: Die Argumentation ist kurzsichtig, weil sich der Fortschritt nicht aufhalten lässt. Er lässt sich nur verlangsamen.“ Man müsse Wege finden, den Fortschritt klimaneutral zu gestalten, durch Investitionen in nachhaltige Energiegewinnung und emissionsarme Technologien. Das klingt recht lapidar. Hinzu kommt: Bereits jetzt spielt das Thema „Nachhaltigkeit“ auch für die Unternehmensfinanzen eine Rolle. Auch die Klimamigration wird immer mehr zum Thema. Und viele – gerade junge – Arbeitskräfte wenden sich ab von Arbeitgebern, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Mit dem Narrativ von beständigem Wachstum gehen demzufolge längst nicht mehr alle mit. Es wäre außerdem interessant zu wissen, was Dettmers unter Wohlstand versteht und was genau er meint mit dem viel zitierten Wunsch: „Unsere Kinder sollten es einmal besser haben.“

Für viele bedeutet Wohlstand längst: Weniger Zeit auf Erwerbsarbeit verwenden zu dürfen und den Planeten wiederum für die nachfolgende Generation lebenswert zu erhalten. Wie gelingt es also, Wachstum, Produktivität und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen? Zu diesem Zusammenhang wäre ein Nachfolgewerk wünschenswert.

Die große Arbeiterlosigkeit
Sebastian Dettmers, Die große Arbeiterlosigkeit. Warum eine schrumpfende Bevölkerung unseren Wohlstand bedroht und was wir dagegen tun können. Finanzbuch Verlag, 25 Euro, 256 Seiten. Erschienen im Juni 2022.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.

Unsere Newsletter

Abonnieren Sie die HR-Presseschau, die Personalszene oder den HRM Arbeitsmarkt und erfahren Sie als Erstes alles über die neusten HR-Themen und den HR-Arbeitsmarkt.
Newsletter abonnnieren
Anne Hünninghaus, Foto: Jana Legler

Anne Hünninghaus

Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).

Weitere Artikel