Wie lädt man rechtswirksam zur Betriebsratssitzung?

Betriebsrat

Streit um die Wirksamkeit einer Gehaltskürzung

Der Kläger macht die Unwirksamkeit einer ihm gegenüber erfolgten Gehaltskürzung auf Basis einer Betriebsvereinbarung unter anderem mit dem Argument geltend, der Betriebsrat habe keinen Beschluss zum Abschluss dieser Betriebsvereinbarung gefasst. Dies habe er von einem Mitglied des Betriebsrats erfahren. Die beklagte Arbeitgeberin war dagegen der Ansicht, dass die Betriebsvereinbarung auf einem wirksamen Betriebsratsbeschluss beruhte. Zumindest habe der Betriebsratsvorsitzende Anscheinsvollmacht gehabt. Zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat hätten vor Abschluss der Betriebsvereinbarung zahlreiche Verhandlungstermine stattgefunden. Daher sei allen Betriebsratsmitgliedern bekannt gewesen, dass die Betriebsvereinbarung geschlossen und unterzeichnet gewesen sei. Das Arbeitsgericht Freiburg im Breisgau hatte die Klage abgewiesen. Nach Vernehmung des seinerzeitigen Betriebsratsvorsitzenden war es überzeugt, der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung sei ein wirksamer Betriebsratsbeschluss vorausgegangen; der beschlussfähige Betriebsrat habe den Beschluss auf einer Sitzung gefasst, zu der ordnungsgemäß eingeladen worden sei.

In der Berufung hatte die Beklagte ergänzend vorgetragen, der Betriebsrat habe vorsorglich in einer weiteren Sitzung die streitige Betriebsvereinbarung nochmals genehmigt. An dieser Sitzung hätten zehn Betriebsratsmitglieder sowie zwei Nachrücker teilgenommen, zu der fünf Tage vorher eingeladen worden sei. Schon vor Einladung seien zwei Betriebsratsmitglieder absehbar verhindert gewesen, für die zwei Ersatzmitglieder geladen worden seien. Am Sitzungstag selbst habe sich wenige Stunden vorher die Verhinderung eines dritten Betriebsratsmitglieds infolge einer kurzfristigen Erkrankung ergeben. Es sei nicht mehr möglich gewesen, einen dritten Nachrücker einzuladen. Etwaige Mängel bei der Beschlussfassung des Betriebsrats zur streitigen Betriebsvereinbarung seien daher nicht mehr relevant.

Betriebsvereinbarung ohne wirksamen Beschluss

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (9 Sa 27/23) hat das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und festgestellt, dass die streitige Vergütungskürzung dem Kläger gegenüber unwirksam ist. Der Betriebsratsvorsitzende habe die Betriebsvereinbarung ohne wirksamen Beschluss des Betriebsrats unterzeichnet. Ein solcher Beschluss sei aber Voraussetzung für jedes rechtswirksame Handeln des Vorsitzenden, weil er nach Paragraf 26 Absatz 2 BetrVG den Betriebsrat „nur“ im Rahmen der gefassten Beschlüsse vertrete. Ohne wirksamen Betriebsratsbeschluss habe der Vorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt, sodass die unterzeichnete Betriebsvereinbarung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schwebend unwirksam sei. Von 13 Betriebsratsmitgliedern seien fünf nicht anwesend gewesen, es sei aber nur ein Ersatzmitglied geladen worden; die Ladung weiterer Ersatzmitglieder sei ohne erkennbaren Grund unterblieben. Der Betriebsratsvorsitzende sei auch nicht aufgrund einer Anscheinsvollmacht zur Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung berechtigt gewesen.

Die Grundsätze der Anscheinsvollmacht seien nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das Landesarbeitsgericht anschließe, nicht auf das Verhältnis zwischen einem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden zu übertragen. Auch der nachträgliche Genehmigungsbeschluss sei unwirksam, weil die Ladung eines dritten Ersatzmitglieds unterblieben sei. Zwar könne ausnahmsweise die Ladung eines Ersatzmitglieds unterbleiben, doch setze dies voraus, dass ein Betriebsratsmitglied plötzlich verhindert und es dem Betriebsrat nicht mehr möglich sei, ein Ersatzmitglied rechtzeitig zu laden. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Die Krankmeldung des verhinderten Betriebsrats sei im Lauf des Vormittags erfolgt, Sitzungsbeginn sei um 14 Uhr gewesen. Nachdem der Vorsitzende von der Verhinderung erfahren habe, habe er die Ladung des Ersatzmitgliedes unverzüglich nachholen und hierzu alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Kommunikationswege ausschöpfen müssen.

In Eilfällen sei selbst gegenüber den regulären Mitgliedern eine ganz kurzfristige Ladung möglich. Deshalb könne bei einer kurzfristigen Verhinderung die Ladung von Ersatzmitgliedern auch per Telefon oder auf elektronischem Weg geboten sein. Es liege nicht im Ermessen des Vorsitzenden, von einer Ladung abzusehen. Angesichts der Zeitdauer von – mindestens – noch zwei Stunden zwischen der Information über die Verhinderung des kranken Betriebsrats und dem Sitzungsbeginn und angesichts dessen, dass ein Telefonanruf oder die Nutzung eines Messenger-Diensts nur wenige Minuten in Anspruch genommen hätte, sei eine Ladung eines Ersatzmitgliedes, mindestens aber der Versuch der Ladung eines weiteren Ersatzmitgliedes nicht entbehrlich gewesen. Da das nicht erfolgt sei, sei der Betriebsrat nicht vollständig eingeladen und besetzt gewesen; seinem Genehmigungsbeschluss fehle die ausreichende demokratische Legitimation, weshalb auch er unwirksam sei.

Bedeutung der ordnungsgemäßen Ladung von Ersatzmitgliedern

Das Landesarbeitsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung unter anderem der Frage der Anforderungen an die Ladung von Ersatzmitgliedern die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, die dort auch anhängig ist (1 AZR 35/24). Aber auch unabhängig davon zeigt das lesenswerte Urteil des Landesarbeitsgerichts, wie wichtig es für die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ist, dass ihr ein ordnungsgemäß zustande gekommener Beschluss des Betriebsrats zugrunde liegt. Diese Problematik ist in den letzten Jahren zunehmend zum Thema geworden. Keinesfalls dürfen Arbeitgeber glauben, sich auf Unkenntnis berufen zu können, da sie naturgemäß keinen Einblick in die Ladung zu Betriebsratssitzungen und der dortigen Beschlussfassung hätten. Das Bundesarbeitsgericht hat spätestens in seinem auch vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Urteil vom 8. Februar 2022 (1 AZR 233/21) einen Weg aufgezeigt, wie Arbeitgeber ihr Informationsdefizit beseitigen können: Danach hat ein Betriebsrat nämlich eine sich aus Paragraf 77 Absatz 1 in Verbindung mit Paragraf 2 Absatz 1 BetrVG ergebende Nebenpflicht, dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen eine Abschrift des Teils des Sitzungsprotokolls des Betriebsrats auszuhändigen, aus dem sich die notwendige Beschlussfassung ergibt, die die Wirksamkeit der von einem Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung erkennen lässt. Das muss der Arbeitgeber zeitnah geltend machen, was im vorliegenden Fall unterblieben war.

Wie bedeutsam dies nicht zuletzt im Rechtsstreit ist, zeigt das Urteil des Landesarbeitsgerichts ebenfalls: Danach obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Beschlusses und damit einer Betriebsvereinbarung.

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Axel J Klasen, Foto: Privat

Axel J. Klasen

Axel J. Klasen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GvW Graf von Westphalen.

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