Familienpolitik ist auch Wachstumspolitik

Personalmanagement

Lange Jahre liefen Väter in Sachen Familienpolitik unter dem Radar. Manuela Schwesig will das ändern und mit ihrer Politik Eltern dabei unterstützen, familiäre und berufliche Aufgaben partnerschaftlich aufzuteilen. Im Interview spricht die Bundesfamilienministerin über das neue Elterngeld Plus und die Verantwortung der Personalmanager.

Dass die meisten Väter heute gerne aktiv am Familienleben teilhaben wollen, scheint bei den Personalmanagern angekommen zu sein. Das geht aus einer Befragung des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) und des Bundesfamilienministeriums hervor. 83 Prozent der befragten HR-Manager beobachten eine gestiegene Erwartungshaltung von Vätern hinsichtlich einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Über 90 Prozent glauben, dass Unternehmen ein Umfeld schaffen müssen, in dem Väter keine Bedenken haben, dass ihr familiäres Engagement der Karriere schadet. Das Ergebnis dürfte im Sinne von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sein.

Frau Schwesig, wie nehmen Sie persönlich heute die Rolle der jungen Väter im Vergleich zur älteren Generation wahr?
Gerade bei den jüngeren Männern beobachte ich seit Jahren, dass sich eine Art leise Revolution vollzieht. Die Väter von heute wollen nicht mehr nur die Versorger der Familie sein, die ihren Kindern abends einen Gute-Nacht-Kuss geben und sonst nur wenig mit der Erziehung zu tun haben. Aus Umfragen wissen wir: Jeder zweite Vater wünscht sich mehr Zeit für seine Kinder. Gleichzeitig würde jede zweite Mutter gerne stärker in den Job einsteigen. Daher ist es eines meiner Kernziele, Frauen und Männer dabei zu unterstützen, familiäre und berufliche Aufgaben partnerschaftlich aufzuteilen.

Männer können schon heute viele Angebote wie die Elternzeit wahrnehmen. Viele tun es aber vor allem deswegen nicht oder nur in geringem Maße, weil sie denken, dass die Akzeptanz im Unternehmen nicht da ist. Sie haben Angst vor dem Karriereknick. Nur eine kleine Minderheit der Männer arbeitet zum Beispiel in Teilzeit. Müssen sich Väter nicht mehr bewegen als die Arbeitgeber?
Gerade bei den Vätern hat sich schon einiges getan. Nehmen Sie das Beispiel Elterngeld: Beinahe jeder dritte Vater nutzt heute die Partnermonate im Elterngeld und nimmt sich eine Auszeit für die Betreuung seines Nachwuchses – das waren vor der Einführung des Elterngeldes gerade einmal 3,5 Prozent. Die Frage ist: Was passiert nach der Elternzeit? Viele Väter wünschen sich der Kinder wegen beruflich kürzer zu treten, also ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder keine Überstunden mehr machen zu müssen. Den Arbeitgeber danach zu fragen, erfordert Mut. Denn die Männer haben Angst vor einem Karriereknick. Dennoch zeigt die Praxis, dass sich mit guter Planung und Absprachen unter Kollegen viel mehr realisieren lässt als gedacht. Das ist ein Lernprozess für beide Seiten: Die Väter müssen sich trauen, ihre Bedürfnisse einzufordern, die Arbeitgeber müssen offen sein, sich auf diese Bedürfnisse einzustellen und die Arbeit entsprechend anders zu organisieren.

Wie kann die Politik denn den Vätern dabei helfen, für die Kinder da zu sein ohne auf Karriere verzichten zu müssen?
Wir müssen mehr Möglichkeiten schaffen, die eine erfolgreiche berufliche Entwicklung und Zeit für Familie möglich machen. Die meisten Männer wünschen sich ja keinen Vormittagsjob, sondern sie wollen ihre Arbeitszeit etwas reduzieren und flexibler organisieren. Darauf zielt auch meine Idee der Familienarbeitszeit. Wenn mehr Väter vollzeitnah zwischen 30 und 35 Stunden arbeiten, kommt das wiederum den Müttern zugute, die dann mehr Zeit in ihren Beruf investieren können. Auf dieses Potenzial ist die Wirtschaft dringend angewiesen. Für die Unternehmen heißt das: Wer will, dass Mütter mehr arbeiten und wer seine Fachkräfte halten will, muss auch Vätern familienfreundliche Angebote machen.

Die „Neue Partnerschaftlichkeit“ zwischen Vätern und Müttern, von der Sie zuletzt häufiger gesprochen haben, erweckt bei manchen den Eindruck, dass die Politik sich in Paarbeziehungen einmischen will. Warum geht den Staat die Aufgabenteilung in einer Familie etwas an?
Es ist die Aufgabe der Politik, gute Rahmenbedingungen zu schaffen und es den Menschen zu ermöglichen, ihre Lebenswünsche umzusetzen. Wir machen den Familien Angebote, keine Vorschriften. In vielen Familien sind Arbeits- und Familienzeit ungleich auf Mann und Frau verteilt – und das entspricht oft nicht den Wünschen der Familien. 60 Prozent der Paare mit kleinen Kindern befürworten heutzutage eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, in der beide Eltern die Chance haben, sowohl für die Familie da zu sein als auch beruflich voranzukommen. Doch bisher gelingt es nur 14 Prozent, dieses Lebensmodell umzusetzen. Das führt in vielen Familien zu Unzufriedenheit und Stress.

Zusätzlich geht der Wirtschaft wertvolles Fachkräftepotenzial verloren, wenn wir es Frauen nicht einfacher machen, auch mit Kindern beruflich weiter zu kommen. Dazu brauchen wir neben einer guten Betreuungsinfrastruktur auch eine familienfreundliche Personalpolitik in den Unternehmen – für Mütter und Väter.

Das Elterngeld Plus soll unter anderem das Modell der gleichberechtigten Beziehung unterstützen, gerade mit dem Partnerschaftsbonus, den Eltern bekommen, wenn beide gleichzeitig ihre Arbeitszeit reduzieren in der Elternzeit. Wie soll diese neue Partnerschaftlichkeit weiter gestärkt werden? Wie wollen Sie den Begriff darüber hinaus mit Leben füllen?
Das Elterngeld Plus und der Partnerschaftsbonus, die wir im nächsten Jahr einführen, unterstützen junge Eltern gezielt, sich familiäre und berufliche Aufgaben partnerschaftlich zu teilen. Bisher wurde das Elterngeld für maximal 14 Monate nach der Geburt des Kindes gezahlt. Mütter oder Väter, die schon währenddessen in Teilzeit wieder beruflich einsteigen wollten, haben damit einen Teil ihres Elterngeldanspruchs verloren. Mit dem Elterngeld Plus soll sich das ändern: Künftig ist es für Eltern, die in Teilzeit arbeiten, möglich, das Elterngeld Plus doppelt so lange zu erhalten. Und wenn sowohl Vater als auch Mutter Teilzeit arbeiten und sich gemeinsam um das Kind kümmern, wird es einen Partnerschaftsbonus geben.

Parallel dazu stärken wir im Rahmen unserer engen Kooperation mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften im Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ die Rolle der Väter im Betrieb. Wir informieren Unternehmens- und Personalverantwortliche über die wachsende Bedeutung und die vielfältigen Möglichkeiten einer väterorientierten Personalpolitik.

Das Elterngeld Plus ist ein wichtiger Schritt hin zu einer partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und ein erster Schritt hin zu meiner Idee der Familienarbeitszeit, mit der beide Elternteile für eine gewisse Zeit in vollzeitnaher Teilzeit arbeiten und dafür einen finanziellen Ausgleich bekommen. Mir geht es darum, die Rush Hour in den Familien zu entzerren, damit Eltern im alltäglichen Balanceakt zwischen Job, Kinderbetreuung, Haushalt und vielleicht noch pflegebedürftigen Angehörigen nicht zerrieben werden.

Müssen die Arbeitgeber mit weiteren Einmischungen seitens der Familienpolitik rechnen? Wird der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit um ein Rückkehrrecht zur früheren Arbeitszeit ergänzt? Für die Arbeitgeber würde das die Personalplanung erheblich erschweren.
Ich kenne die Kritik, dass diese familienpolitischen Vorhaben die Wirtschaft zu sehr belasten könnten. Ich bin vom Gegenteil überzeugt: Eine moderne Familienpolitik ist auch Wachstumspolitik, denn damit erhöhen wir die Erwerbstätigkeit von Frauen und machen jungen Paaren Mut zu Kindern.

In vielen Unternehmen werden aber schon verschiedene Arbeitszeitmodelle angeboten und es gibt immer mehr Betriebskindergärten. Die Unternehmen haben bereits viel für die Vereinbarkeit getan. Würden Sie da zustimmen?
Ja, auf jeden Fall. Die Wirtschaft ist sich mittlerweile durchaus bewusst, dass eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihrem eigenen Interesse liegt. Nichtsdestotrotz ist hierzulande die Anwesenheitskultur noch sehr ausgeprägt – nach dem Motto: Wer am längsten im Büro bleibt, gilt als am leistungsfähigsten. Das Gegenteil ist der Fall: In der Mitgliederbefragung, die wir in Kooperation mit dem Bundesverband der Personalmanager durchgeführt haben, bestätigen uns die Personalverantwortlichen, dass Väter mit individuellen Arbeitszeiten produktiver arbeiten und besonders motiviert sind. Daher bin ich darüber ja auch mit den Unternehmen im Gespräch.

Mit dem Elterngeld Plus und dem Partnerschaftsbonus setzen wir da ja ein ganz deutliches Signal, um die Teilzeitarbeit für Männer und Frauen aufzuwerten. Klar ist aber auch: Teilzeit darf nicht zur Falle werden. Viele berufstätige Eltern wollen ihre Arbeitszeit nur zeitweise reduzieren.

Zum Jahreswechsel ist das neue Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf in Kraft getreten. Es sieht bezahlte Kurzfreistellungen und Teilzeitarbeit vor. Die Pflegeauszeit wird bisher nur selten in Anspruch genommen. Warum wird sich das jetzt ändern Ihrer Meinung nach?
Ich möchte berufstätige Frauen und Männer, die mehr zeitliche Flexibilität für die Pflege von nahen Angehörigen benötigen, stärker unterstützen. Auf ein Arbeitsleben gerechnet sind es doch nur kurze Zeiten, die man mal mehr für seine Kinder braucht oder eben, um die Pflege der Eltern zu begleiten oder zu organisieren. Stellen sie sich vor, der Vater hat einen Schlaganfall. Die Familie steht plötzlich vor der Frage: Was nun? Künftig besteht für die Angehörigen die Möglichkeit, bis zu zehn Tage aus dem Job auszusteigen, um akut eine Lösung zu finden. Neu ist, dass diese zehn Tage finanziell unterstützt werden. Außerdem haben die Familien einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und einen Anspruch auf Förderung durch ein zinsloses Darlehen.

Die Möglichkeit, ihre Erwerbstätigkeit bis zu zwei Jahre zu reduzieren, wird dazu beitragen, dass die Beschäftigten ihre Berufstätigkeit nicht aufgeben müssen. Das nützt auch den Unternehmen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben den Arbeitgebern als wichtige Fachkräfte mit ihrem Erfahrungswissen erhalten.

Es gibt rund 150 familienpolitische Maßnahmen. Viele widersprechen sich in ihrer Zielrichtung. Warum gelingt es nicht, eine Familienpolitik aus einem Guss hinzubekommen?
Die ehe- und familienbezogenen Leistungen richten sich an Familien in unterschiedlichen Lebenslagen. Und das ist auch gut so, denn die Familien in Deutschland sind bunt: Alleinerziehende haben einen anderen Unterstützungsbedarf als Paarfamilien. Familien mit kleinen Kindern brauchen Kinderbetreuung, Familien mit älteren Kindern eher Freizeitmöglichkeiten durch Angebote der lokalen Jugendverbände. Dass es viele verschiedene Leistungen gibt, heißt nicht, dass sich diese widersprechen. Im Gegenteil: Kleine Leistungen, die spezifisch auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten sind, wie etwa der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende oder der Kinderzuschlag für Familien mit kleinem Einkommen, sind sogar besonders effizient. Dies zeigt die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen.

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Kathrin Justen

Kathrin Justen ist Verantwortliche für People and Culture bei der Digitalberatung Digital Dna und arbeitet nebenberuflich als freie Journalistin.

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