Warum sind weibliche Techies immer noch selten? Patricia DuChene von Wrike über Klischees, Frauennetzwerke und die Idee einer „Mutterquote“.
Frau DuChene, was hat Sie dazu bewegt, eine Karriere in der Tech-Branche einzuschlagen?
Patricia DuChene: Ausschlaggebend war tatsächlich das Silicon Valley selbst. Vor etwa zehn Jahren lebte ich in der Bay Area und das Silicon Valley war ein Ort voller spannender Möglichkeiten. Ich wollte einfach Teil davon sein. Ehrlich gesagt wusste ich sehr wenig über die Tech-Branche. Aber ich bin jemand, der immer wieder neue Herausforderungen braucht, daher fühlte ich mich dort bestens aufgehoben. In der Tech-Branche muss jeder fortwährend innovativ sein, über den Tellerrand hinausschauen und sich trauen, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen, an die noch nie zuvor gedacht wurde. Ich war sozusagen ein Produkt meiner Umgebung.
Warum sind immer noch verhältnismäßig wenig Frauen in Tech-Berufen vertreten?
Wir tun meines Erachtens noch immer nicht genug für arbeitende Mütter. Auch wenn es in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte gab, ist da noch viel Luft nach oben. Insbesondere Programme für Frauen, die sich entschieden haben, erst nach ein einigen Jahren Elternzeit in die Arbeitswelt zurück zu kehren, sind noch rar. Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass Menschen Vorbilder brauchen und es einfach nicht viele Frauen in technischen Berufen gibt. Wenn meine Tante, meine Mutter, meine Großmutter oder meine Schwestern nicht als Vorbild für meinen Lebensweg dienen können, wie soll ich dann daran glauben, dass ich es schaffen kann? Nur mit überzeugenden Vorbildern wächst das Vertrauen in einem Menschen heran, dass man jeden beliebigen Beruf ausüben kann. Fehlen die Vorbilder, schließt man die Möglichkeit oft prinzipiell für sich aus.
Allerding ist IT längst nicht die schlechteste Branche in Sachen Geschlechterdiversität. Dass die Tech-Branche dennoch so viel über Geschlechterdiversität spricht, hat meiner Meinung nach gute Gründe: Die Branche will sich auf ganzer Linie positiv von traditionelleren Berufen abheben, wo weibliche Benachteiligung ja ebenso verbreitet ist, aber selten jemand die Hand hebt und sagt: “Ja, das ist ein Problem bei uns, das wir dringend lösen müssen”. Dass wir Techies das tun, halte ich für eine gute Sache.
Sie haben bei Wrike das Frauennetzwerk „Women of Wrike“ gegründet. Wie können solche Netzwerke Frauen helfen?
Ich denke, dass diese Gruppen einen sicheren und vertrauensvollen Raum bieten können, um Neues zu lernen. Sie ermöglichen Frauen, über Anliegen zu sprechen, mit denen sie nicht zu ihrem direkten Vorgesetzten gehen würden. Die Mitglieder solcher Gruppen verstehen sich und können ihre Probleme gegenseitig nachvollziehen, statt nur zu sagen: „Das klingt wirklich schlimm, aber ich habe es noch nicht selbst erlebt.” Ich bin überzeugt, wenn man genügend Leute in einem Raum zusammenbringt, die vor den gleichen Herausforderungen stehen, profitiert die Organisation als Ganzes von den Lösungen, die dort erarbeitet werden. Das ist besser und nachhaltiger als – metaphorisch gesprochen – einfach ein Pflaster auf das Problem zu kleben, weil es schnell geht und billig ist.
Was halten Sie von Studiengängen oder Weiterbildungsprogrammen speziell für Frauen? Sind sie eine Chance oder verstärken sie nicht eher die Benachteiligung, weil Frauen hier erst einmal unter sich bleiben statt sich schon früher in männlich dominierte Bereiche zu mischen?
In den USA steigt die Zahl außerschulischer Förderprogramme nur für Mädchen. Das finde ich sehr gut, denn Mädchen und junge Frauen, die sich in der Schule für eines der MINT-Fächer entscheiden, sind oft gehemmt, wenn sie keine anderen Mädchen in der Klasse sehen. Sie trauen sich nicht, Fragen zu stellen oder sich in den Unterricht einzubringen, weil sie Angst haben, dass die Jungs sich über sie lustig machen. Gerade in jungen Jahren, wo man dem anderen Geschlecht gegenüber ohnehin schon sehr unsicher ist, geben solche Programme Mädchen einen sicheren Raum zur Entfaltung ihrer Stärken. Wenn sie unter sich lernen können, haben sie eher die Möglichkeit, ihre Talente und Fähigkeiten voll zu entwickeln. Für die Erwachsenenwelt lassen sich Weiterbildungen oder Studiengänge vermutlich nur schwer in dieser Art realisieren, allerdings ist das weibliche Selbstbewusstsein in diesem Alter auch schon gefestigter.
Sollte man vielleicht auch schon in der Schule anfangen, Klischees entgegenzuwirken und auch bei Mädchen das Interesse für IT gezielt fördern?
Ja, man sollte definitiv schon in der Schule gegen diese Klischees arbeiten. Die Gesellschaft muss das, was in der Psychologie als “unconscious bias” bekannt ist, überwinden. Das sind unbewusste Vorurteile und Stereotypen, die wir alle haben. Vor etwa zwei Jahren war “unconscious bias” ein Buzzword, verschwand dann aber wieder und hat für mein Gefühl zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Denn unbewusste Vorurteile beeinflussen tagtäglich jede unserer Entscheidungen am Arbeitsplatz auf ganz unterschiedliche Art. Davon sind natürlich auch Frauen in IT-Berufen betroffen.
Was muss sich außerdem in der Gesellschaft ändern, damit mehr Frauen ihren Weg in die Tech-Branche finden?
Gehen wir gedanklich noch einmal zurück zu den arbeitenden Müttern: Versucht eine Frau, die einen Beruf in der Tech-Branche ausübt, nach der Geburt eines Kindeswieder ins Arbeitsleben einzusteigen, steht sie vielleicht dem Personalverantwortlichen gegenüber. Dieser sieht die vierjährige Lücke in ihrem Lebenslauf sieht und sagt: „Sorry, aber wir brauchen jemanden, der das vor zwei Monaten gemacht hat und ohne lange Einarbeitungsphase sofort loslegen kann.” Daher sollten Unternehmen meiner Meinung nach in Erwägung ziehen, eine entsprechende Quote für Mütter einzuführen, die aus der Elternzeit zurückkehren. In Deutschland wird das durch den gesetzlich geregelten Anspruch auf den alten Arbeitsplatz schon recht fortschrittlich gehandhabt. Aber für Mütter in Deutschland, die nach der Babypause nicht zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren wollen, könnte eine solche Quote nützlich sein.
Welche Tipps können Sie Frauen in der Tech-Branche mit auf den Weg geben?
Wir müssen bei der Selbstvermarktung viel, viel besser werden – und es gibt Wege zur Selbstdarstellung, die nicht egoistisch wirken. Schon allein sich auf einen Job zu bewerben, obwohl man nicht alle Voraussetzungen der Stellenanzeige erfüllt, fällt Frauen schwerer als Männern. Sie zögern, wenn sie statt der geforderten zwanzig Jahre Erfahrung nur zehn haben. Auch wenn sie stattdessen andere Qualifikationen vorweisen können und wahnsinnig gut in ihrem Job sind – sie würden nie von sich selbst behaupten, dass es so ist. Wir Frauen müssen besser darin werden, uns in die erste Reihe zu stellen und zu sagen: „Nehmt mich, ich bin die Beste für diesen Job!”
Frauen, denen es schwerfällt, die Komfortzone zu verlassen, sollten sich jemanden suchen, der sie konsequent unterstützt und öfter mal sagt: „Du bist toll, und das sind die Gründe, warum du toll bist“. Das muss nicht jemand aus der Arbeit sein. Diese Rolle können auch sehr gut Ehepartner, Geschwister oder gute Freunde übernehmen.
Patricia DuChene ist Geschäftsführerin von Wrike EMEA am Standort Dublin und Gründungsmitglied von Women of Wrike. Das Frauennetzwerk hat sich innerhalb des Software-Unternehmens gegründet und bietet Frauen die Chance, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Mitglieder diskutieren berufliche Herausforderungen wie das Hochstapler-Syndrom oder Elternzeit und stehen gemeinsam für Veränderungen ein, die sie bei ihrem Arbeitgeber sehen möchten.