Soziale Herkunft und Nationalität entscheiden nach wie vor über die Jobchancen in Deutschland, so die aktuelle „So arbeitet Deutschland“-Studie von SThree. Damit ist ein weiterer Graben, der im Jahr 2021 längst überwunden sein sollte, immer noch bittere Realität. Bitter auch deshalb, weil Deutschland die Fachkräfte fehlen – und vielen jungen Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt offensichtlich nach wie vor verwehrt ist und das aus Gründen, die sie nicht selbst in der Hand haben.
Die Herkunft entscheidet: Von 100 Grundschulkindern besuchen 74 eine Hochschule – wenn sie aus Akademikerfamilien kommen, so die Zahlen des Netzwerks Arbeiterkind.de. Bei den Kindern aus nicht-akademischen Haushalten sind es gerade einmal 21 – bis zur Promotion schafft es dann gerade mal eines von 100 Kindern.
Ein Bild, das auch die Ergebnisse der aktuellen „So arbeitet Deutschland“-Studie widerspiegelt. 28 Prozent sind der Meinung, die Nationalität hemmt die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, 24 geben an, die soziale Herkunft sei aus ihrer Sicht das größte Hindernis. Dass allein der Bildungsabschluss über die Jobaussichten entscheidet, glaubt ein Viertel (26 Prozent), darunter doppelt so viele über-55-Jährige (30 Prozent) wie 18- bis 24-Jährige (15 Prozent). Es handelt sich folglich auch um einen Generationenkonflikt. Die Jugend scheint den Glauben an den Weg zum sozialen Aufstieg ein Stück weit verloren zu haben. Dabei ist der deutsche Ausbildungs- und Stellenmarkt keinesfalls gesättigt und bietet viel Ein- und Aufstiegspotential, auch für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger – insbesondere bei dem vorherrschenden Fachkräftemangel in Deutschland. Die ältere Generation hingegen scheint nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass man es durch Fleiß und Leistung auf der Karriereleiter nach oben schaffen kann und dass es für einzelne Gruppen keiner besonderen Förderung bedarf.
Der Bedarf an Fachkräften ist groß – und steigt weiter an
Bis zu 2 Millionen Fachkräfte fehlen Deutschland bis zum Jahr 2030 – eigentlich Grund genug, es jedem jungen Menschen zu ermöglichen, den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Doch nach wie vor sind hierzulande Kinder und Jugendliche benachteiligt, deren Eltern keinen (akademischen) Bildungshintergrund oder ausländische Wurzeln haben: Für sie wird noch immer zu wenig getan, sei es vonseiten der Gesellschaft, der Unternehmen, aber auch der Politik. Letztere sehen vor allem auch die Befragten der Studie in der Pflicht: Eine Ein-Drittel-Mehrheit (34 Prozent) sieht den Staat in der Bringschuld und fordert als wichtigsten Ansatzpunkt eine verstärkte Unterstützung von Kindern aus sozial schwachen Familien – eine Aufgabe, der sich die kommende Bundesregierung also verstärkt widmen sollte.
Warum Unternehmen von bunten Teams profitieren
Dass Unternehmen von Diversität profitieren, kommt meistens im Zusammenhang mit dem Geschlechterverhältnis zur Sprache. Dass vor allem in gemischten Teams verschiedene Perspektiven, Hintergründe, Ideen und Erfahrungen zum Erfolg beitragen, kann man mittlerweile an vielen Stellen beobachten. Dass das auch auf die soziale Herkunft zutrifft – dass also auch diese Gruppe gerade aufgrund der spezifischen Voraussetzungen eine Bereicherung sein kann – wird nach wie vor zu wenig erkannt. Wenig verwunderlich, läuft sie doch meist unter dem Radar, denn im Vergleich zum Geschlecht oder der Herkunft sieht man den meisten Menschen nicht an, welchen Bildungsstand ihre Eltern hatten, mit welchen Glaubenssätzen sie aufgewachsen sind und inwiefern sie gefördert wurden.
Gleichzeitig gibt es durchaus gute Argumente dafür, diese Gruppe zu unterstützen: Diejenigen, die sich nicht auf die Sicherheit eines gut gestellten Elternhauses verlassen konnten und dennoch etwas erreichen möchten, werden stark vom Leistungsgedanken angetrieben. Werden sie gefördert oder öffnet man ihnen Türen, können diese jungen Menschen einen ungeahnten Mehrwert bieten. Dazu brauchen sie unter anderem auch Vorbilder sowie Mentorinnen beziehungsweise Mentoren, denn wenn man gewisse Einstellungen und Verhaltensweisen nicht von den Eltern mitbekommt, dann braucht es umso mehr andere Menschen, die Perspektiven aufweisen und motivieren. Mit entsprechenden Förderungen und Initiativen, die bereits im Bildungsbereich ansetzen, kann man hier eine Menge bewirken.
Voraussetzungen für mehr Chancengleichheit
Für all dies braucht es auch ein Stück weit Offenheit und Mut vonseiten der Unternehmen, ein Bekenntnis zu einer zeitgemäßen Art der Fehlerkultur und eine Abkehr vom „geraden“ Bildungsweg, der in vielen Branchen nach wie vor das Maß der Dinge ist. Doch gerade in agilen und globalisierten Zeiten wie diesen entspricht es immer weniger der Realität, dass Menschen ihr Leben lang in einem Unternehmen oder gar in einer Branche arbeiten. Höchste Zeit also, dass auch die sozialen Barrieren fallen und die Ein- und Aufstiegschancen nicht mehr davon abhängen, woher die Eltern stammen oder welchen Bildungshintergrund sie haben.
Stichwort Vorbilder: Bereits beim Thema Geschlechtergerechtigkeit lässt sich beobachten, dass Frauen anderen Frauen folgen. Sprich: Je mehr es in die Führungsetagen schaffen – und auch darüber sprechen – um so mehr werden den Mut fassen, diesem Beispiel zu folgen. Um auch sozial schwächere Kinder und Jugendliche zu ermutigen, braucht es auch hier Vorbilder mit ähnlichen Geschichten. Hier sind die Unternehmen und die Gesellschaft gefragt, dieses Thema ernst zu nehmen und diesen Geschichten die entsprechende Bühne zu geben.
Ein großes Feld mit riesigem Potenzial
Fachkräftemangel, die soziale Verantwortung und nicht zuletzt riesige gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel oder die digitale Transformation: Es wird höchste Zeit, dass Deutschland sämtliche Potenziale nutzt, die ihm zur Verfügung stehen. Umso wichtiger ist es, vor allem der jüngeren Generation den Glauben mit auf den Weg zu geben, dass jede und jeder die Chance hat, die Zukunft mitzugestalten – und das unabhängig von Nationalität oder sozialer Herkunft.