„Arbeit sollte nur ein Teilaspekt des Lebens sein“

Interview mit Sara Weber

Frau Weber, Sie haben Ihren Job als Redaktionsleiterin bei Linked­in im Frühling 2021 gekündigt. Warum?
Sara Weber: Das hatte verschiedene Gründe. An den Menschen lag es definitiv nicht; meine Vorgesetzte war toll und ich habe noch nie mit so einem großartigen Team zusammengearbeitet. Aber ich war müde und ausgebrannt, wahrscheinlich auch, weil wir die tägliche Nachrichtenberichterstattung verantwortet haben, das war vor allem zu Beginn der Pandemie sehr anstrengend. Gleichzeitig war ich auch schon seit fünf Jahren im Unternehmen und hatte das Gefühl, meine Zeit hier ist langsam rum.

Im Januar haben Sie ein Buch mit dem Titel Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten? veröffentlicht. Wann haben Sie diesen Satz zum ersten Mal gedacht?
So richtig bewusst gedacht habe ich ihn zum ersten Mal an dem Tag, an dem Russland die Ukraine angegriffen hat. In den Nachrichten sah ich Menschen, die in U-Bahn-Schächte geflüchtet sind, um sich vor Bombenangriffen zu schützen. Gleichzeitig wusste ich, ich muss jetzt an den Schreibtisch und eine Präsentation vorbereiten. Das war so ein Moment, in dem ich mir dachte: Was soll das hier eigentlich? Unbewusst mitgeschwungen ist der Satz aber auch schon seit Beginn der Coronapandemie, so ging es wahrscheinlich vielen. Wir haben in einer absoluten Ausnahmesituation gelebt und trotzdem lief die Arbeit für viele einfach so weiter oder wurde sogar noch anstrengender, noch stressiger, noch gefährlicher, noch schwieriger.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch darüber zu schreiben?
Das Thema war schon in meinem Kopf und kam auch in meinem Freundeskreis immer wieder auf. Auch dort sind viele gestresst, müde und erschöpft, suchen aber die Schuld bei sich selbst, denken, sie müssten sich besser organisieren. Dabei gibt es ein größeres, übergeordnetes Problem. Wenn dieselbe Sache für viele Menschen nicht funktioniert, kann man sie ja irgendwann nicht mehr auf das Individuum abschieben. Da gibt es ganz viele Punkte, an denen man ansetzen könnte, die wollte ich irgendwie zusammenbringen. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin dann mit einer Agentin in Kontakt gekommen, die meine Idee auch gut fand. So kam das Buch dann auf den Weg.

Was ist für Sie von all den ­aktuellen Krisen das dringendste ­Thema?
Ich glaube, es ist schwierig, Krisen gegeneinander aufzuwiegen. Aber was übergeordnet über allem schwebt, ist die Klimakrise. Wir wissen, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, um die massiven Veränderungen anzustoßen, die notwendig sind, um die menschliche Lebensgrundlage zu sichern. Die Klimakrise wird auch zu mehr Konflikten und Kriegen führen. Es wird mehr Migration geben, weil Regionen unbewohnbar werden. Wenn wir die Klimakrise nicht lösen, hilft auch alles andere nichts.

Wie sollten wir denn weiter­arbeiten und -leben, wenn uns eine akute Krise beschäftigt?
Dass wir von heute auf morgen alle unsere Arbeit fallen lassen, ist keine realistische Option. Aber wir sollten darüber nachdenken, welchen Stellenwert wir der Arbeit geben. Für viele Menschen muss sich das Leben der Arbeit unterordnen, aber eigentlich sollte die Arbeit nur ein Teilaspekt des Lebens sein. Während der Coronakrise zeigte sich, wie sehr die Arbeit über allem stehen kann. Menschen, die in Kliniken arbeiten, konnten zum Beispiel ihre Familien wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr sehen. Aber das betraf nicht nur die systemrelevanten Berufe. Ich selbst habe im Homeoffice gearbeitet und gemerkt, dass ich sonst gerade nicht so viel tun konnte, weil das öffentliche Leben stillstand und man keine Leute treffen konnte. Übrig geblieben ist da nur noch die Arbeit – und die hat dadurch immer mehr Zeit und Lebensraum eingenommen. Dabei hätten wir aus der Corona­krise eigentlich lernen können.

Was hätten wir denn lernen sollen?
Dass es wichtig ist, aufeinander aufzupassen, soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, mehr Zeit für Care-Arbeit zu haben. Wir haben schließlich gemerkt, wie wichtig uns Freundschaften oder die Familie sind, als wir sie lange nicht mehr sehen konnten, wie wichtig es für Kinder ist, mit anderen Kindern zusammen zu sein, wie wichtig Gesundheit ist. Trotzdem haben wir weiterhin die Arbeit priorisiert. Ich glaube, es wäre gut gewesen, aus solchen Krisensituationen andere Schlüsse zu ziehen, als dass die Arbeit das Wichtigste in unserem Leben ist.

Was müsste passieren, damit sich unsere Art zu leben und zu arbeiten wirklich zum Positiven ändert?
Wir müssten vor allem das Thema Care-Arbeit und damit die Gleichberechtigung der Geschlechter angehen. Kitas sind überlastet, weil es zu wenig Personal gibt, und Eltern sind überlastet, weil sie sich häufig um kranke Kinder kümmern müssen – aber auch ihrer Arbeit weiter nachgehen müssen. Ihnen könnte die Politik helfen, zum Beispiel, indem sie die Elternzeit verlängert und Anreize dafür schafft, dass Mütter und Väter sie gerechter aufteilen. Außerdem müssten Erzieherinnen und Erzieher besser bezahlt werden. Warum sonst sollten junge Menschen diesen Beruf ergreifen?

Auch beim Thema flexibles Arbeiten gibt es noch viel Potenzial. Am Anfang der Pandemie haben die Unternehmen alle Mitarbeitenden einfach mit einem Laptop nach Hause geschickt und niemand hatte Zeit, Prozesse aufzusetzen. In vielen Unternehmen gibt es diese bis heute nicht. Wir haben uns im Laufe der Pandemie an viele Dinge gewöhnt – etwa, dass bei Remote Work oft die Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen. Diese Arbeitsweisen sollten wir viel stärker hinterfragen. Das alles sind Dinge, die systemisch angegangen werden müssen. Denn selbst wenn man Vorgesetzte hat, die das Problem verstehen, hilft das vielleicht der Einzelperson, aber verbessert nicht die Gesamtsituation.

Nimmt das Bedürfnis nach Sinn und Selbstverwirklichung in Krisen­zeiten zu?
Ich glaube schon, aber das bezieht sich nicht nur auf die Arbeit. Wir stellen uns in Krisenzeiten vermehrt die Frage, was uns wirklich wichtig ist. Für die einen bedeutet das, mehr Zeit mit der Familie und mit Freundschaften zu verbringen, für die anderen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Dass diese Frage auch die Arbeit betrifft, haben wir in den USA gesehen, wo es eine große Kündigungswelle gab, die Great Resig­nation. Natürlich hatten die Kündigungen auch Gründe wie schlechte Bezahlung oder mangelnde Flexibilität, aber dabei ist sicher häufig der Wunsch mitgeschwungen, sich auch beruflich auf Dinge zu konzentrieren, die einem wichtig sind. Doch das kann auch zur Falle werden.

Warum?
Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen mit hoher Sinnhaftigkeit und Leidenschaft im Beruf oft schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen. Das sehen wir in der Kranken- und Altenpflege. Hier ist der Sinn der Arbeit inhärent. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen katastrophal: Es gibt zu wenig Personal, das schlecht bezahlt wird, lange Schichten arbeiten und an freien Tagen einspringen muss, zugleich fehlt die Wertschätzung. Auf Dauer hilft die Sinnhaftigkeit aber auch nicht, denn wer immer nur gibt und nichts zurückbekommt, ist irgendwann auch gar nicht mehr gut in seinem oder ihrem Job. Es ist verständlich, dass Menschen sich eine Arbeit wünschen, die sie für sinnvoll halten, das ist aber kein Grund, sich ausbeuten zu lassen. Die Arbeitsbedingungen sollten trotzdem so gut sein, dass man auch guten Gewissens mit Leidenschaft dabei sein kann. Und auch diese Verantwortung sollte man nicht, wie es momentan passiert, auf Einzelpersonen abschieben, sondern man sollte das System verbessern.

Wo liegt der Unterschied zwischen Freude bei der Arbeit und Ausbeutung aufgrund eines vermeintlichen höheren Sinns?
Ganz viele Dinge, die dafür sorgen, dass Arbeit Spaß macht, hängen mit den Arbeitsbedingungen zusammen. Dass man ein Team hat, mit dem man gut und gerne zusammenarbeitet, dass die Vorgesetzten fair sind und ihr Team wertschätzen, dass ein Gefühl von Sicherheit und Raum für offene Kommunikation da ist. All das kann auch ein Gefühl der Sinnhaftigkeit geben. Selbst wenn man in dem sinnvollsten Beruf der Welt arbeitet, hilft das nichts, wenn die Rahmenbedingungen und das Team um einen herum furchtbar sind und man Vorgesetzte hat, mit denen man einfach nicht arbeiten kann. Doch auch der beste Job und das beste Team reichen nicht, wenn man nichts anderes im Leben hat. Gleichzeitig ist es wichtig, Sinnhaftigkeit nicht nur aus der Arbeit zu ziehen.

Sie beschäftigten sich viel mit dem Thema Arbeit, auf dem Klappentext Ihres Buchs werden Sie als Expertin für die Arbeitswelt bezeichnet. Wie kamen Sie zu dem Thema?
Ich habe als Journalistin schon immer viel zu Wirtschafts- und Digitalthemen gearbeitet, da ploppt das Thema Arbeit immer wieder auf. Aber so richtig tief beschäftigt habe ich mich damit während meiner Zeit bei Linkedin, in der wir uns als Team viel mit dem Thema Arbeitswelt auseinandergesetzt haben. Dadurch habe ich angefangen, mich noch intensiver damit zu befassen und immer mehr Nachrichten und Hintergrundinformationen dazu gelesen.

Können Sie das, was Sie unter guter Arbeit verstehen, in Ihrem eigenen Arbeitsalltag umsetzen?
Ja, meistens schon. Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich mir ein paar Sachen vorgenommen, die ich jetzt einzuhalten versuche. Vor allem habe ich mir eine Meeting-Obergrenze gesetzt. Ich hatte früher oft Tage, an denen ich von Meeting zu Meeting gesprungen bin und abends das Gefühl hatte, ich muss jetzt noch meine eigentliche Arbeit machen. Jetzt lege mir maximal drei Meetings in einen Tag, lieber nur zwei, auch wenn das natürlich nicht immer so funktioniert. Meetings sind so ein typisches Füllmaterial der Arbeitswelt – wir sollten uns mal trauen, es zu hinterfragen und es einzusparen, wo es geht.

Zur Gesprächspartnerin:

Sara Weber ist Journalistin, Medienberaterin und Digitalstrategin. Zwischen 2016 und 2021 war sie bei Linkedin in verschiedenen redaktionellen Positionen tätig und hat zuletzt als Senior Managing Editor die Redaktionen für die DACH-Region (Deutschland, Österreich und die Schweiz) sowie Benelux aufgebaut und geleitet. Davor arbeitete Weber als freie Journalistin und Autorin, Speakerin und Dozentin unter anderem für Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Die Zeit, Deutschlandfunk und Deutsche Welle DWTV. Am 12. Januar erschien ihr Buch Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? beim Verlag Kiepenheuer & Witsch.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Sichtbarkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Senta Gekeler, Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager

Senta Gekeler

Senta Gekeler ist freie Journalistin. Sie war von 2018 bis 2023 Redakteurin beim Magazin Human Resources Manager.

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