Wie smart ist HR?

Recruiting

Mit Technologien und Tools lassen sich Personalprozesse automatisieren. Die intelligente Vernetzung von Daten verspricht zusätzlichen Mehrwert. Doch dafür braucht HR eine Spielwiese, um sich auszuprobieren.

Die Bezeichnung smart gehört längst zum Standardwortschatz – viele Menschen haben ein Smartphone oder einen Smart-TV, leben gar in einem Smarthome. Oftmals ist dabei auch die Rede vom Internet der Dinge, also der Vernetzung von Gegenständen mit Software oder Sensoren über das Internet. So beschreibt das Smarthome ein intelligentes Haus, bei dem alles virtuell miteinander verknüpft ist, sich Innenraumbeleuchtung und das Öffnen oder Schließen der Jalousien selbst aufeinander abstimmen sowie die Raumtemperatur via App steuern lässt. Der Gedanke dahinter: mit automatisierten und intelligenten Abläufen die Effizienz für Nutzerinnen und Nutzer steigern. Dieser Ansatz lässt sich auch auf Prozesse im Unternehmen übertragen – und auf HR. Mit dem klugen Einsatz digitaler Tools im Personalmanagement geht ein großes Nutzenversprechen einher. Dabei bedeutet smart nicht gleichzeitig auch vernetzt.

Smarte Prozesse spielen unter anderem in den Bereichen Produktion oder Logistik eine Rolle, sagt Christian Gärtner, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Human Resources Management und Digitalisierung der Arbeitswelt an der Hochschule München. Mittels Bewegungssensoren bei Beschäftigten in Lager- oder Produktionshallen können Unternehmen Prozessdurchlaufzeiten erfassen. Das deckt eventuelle Leerlaufzeiten auf und gibt Aufschluss über die Arbeitsdichte. Ebenso können intelligente Sensorsysteme für die Ergometrie am Arbeitsplatz eingesetzt werden – also um physische Belastungen von Mitarbeitenden offenzulegen. Was früher REFA-Beauftragte an Arbeitsdaten erfasst haben, können heute Sensoren, Sender und Machine-Learning-Analysen übernehmen. Gärtner nennt als weitere Möglichkeit vernetzter Arbeit, Fehlerdaten von Maschinen direkt in Trainings zu übernehmen. So können beispielsweise Technikerinnen und Techniker während einer Inhouse-Schulung von Problemstellungen lernen, die eine Maschine bei einem Kundenbetrieb vor Ort in Echtzeit meldet. Sie lernen also am aktuellen Problem und nicht auf eventuell veralteten Schulungsunterlagen.

Datensilos ohne Vernetzung

Für den Wissenschaftler Gärtner ist das Thema Vernetzung nur eine Dimension von smarten Prozessen. Den Schwerpunkt sieht er vor allem in der Datenanalyse. Das gilt auch im Kontext der Personalarbeit. Smart HR zielt auf automatisierte und intelligente Prozesse ab. Anwendungen und Tools gibt es zur Genüge. Doch vor allem der intelligente Einsatz diverser Anwendungen fordert viele Menschen aus den HR-Abteilungen heraus. „IT-Systeme zu vernetzen ist ein wunder Punkt von HR“, sagt Gärtner. Die meisten Personaldaten befänden sich nämlich in unterschiedlichen Systemen. Zum Beispiel seien oft die Daten aus dem Bewerber- oder Skillmanagement-System nicht direkt dem Stammdaten- oder Performance-Managementsystem verknüpfbar. HR habe mehrere Datenteiche statt eines großen Datensees. Einen Datensatz für jeden Beschäftigten, der alles beinhaltet, den gibt es noch nicht, auch wenn einige Firmen daran arbeiten, sagt Gärtner. Wenn es nicht ein großes System gibt, müssen Schnittstellen gebaut werden, damit die unterschiedlichen Programme zueinander passen und mehrwertstiftende Datenanalysen möglich sind. Grundsätzlich gehe es auch immer um Datenqualität, sonst bewirke die Vernetzung von Systemen und Daten wenig.

„Die einzelnen HR-Tools sind Silos“, sagt Christian Vetter, Managing Director bei HRForecast. In seiner Funktion befasst er sich mit People Analytics – also Analysen, die Personal- und Businessdaten kombinieren, um darauf basierend Fragestellungen zu beantworten. Besonders die Anwendungen großer Software-Anbieter seien oftmals in sich geschlossen und ließen die Integration fremder Daten kaum zu. Dabei müsse man Daten zusammenzubringen und sie auf einer Ebene bündeln. Wer Datenkanäle stark ineinander integriert, hat bessere Möglichkeiten, sagt Vetter. Ihm zufolge erkennen jedoch viele Unternehmen nicht, dass sie erst durch die Verknüpfung von Daten einen Nutzen haben. Das Sammeln von Daten schaffe jedoch mehr Transparenz und eine Verknüpfung mache sie nutzbarer für die HRler und Personalerinnen. Es liege natürlich auf der Hand, dass Personaldaten brisante Daten sind und gesetzliche Vorgaben sowie interne Richtlinien deren Nutzung stark regeln. Das erkläre auch die Zurückhaltung von HR-Abteilungen hinsichtlich des Einsatzes vernetzter Tools.

Als Beispiel für den Nutzwert von verknüpften Daten nennt Vetter das Thema Skills. Gerade in Anbetracht dynamischer Geschäftsfelder benötigen Unternehmen Kenntnis darüber, welche Kompetenzen in Zukunft erforderlich sind. Um zu wissen, welche Potenziale bereits vorhanden und wie diese zu entwickeln sind, brauchen Personaler und HR-Managerinnen Transparenz. Über Datenanalysen, die Trainingsdatenbanken mit dem Input von Führungskräften und Beschäftigen verknüpfen, lassen sich Aussagen treffen, welche Skills künftig von Bedeutung sein werden. Vetter rät aber auch dazu, nicht nur interne Daten zu berücksichtigen, sondern bei Analysen ebenso externe Daten mit einzubeziehen. Damit meint er unter anderem wissenschaftliche Auswertungen oder Analysen von Stellenausschreibungen, welche Skills Wettbewerbsunternehmen fordern. Daraus könne ein Unternehmen valide Zukunftsprognosen ­ableiten.

Digitalisierung von HR

„Das Zusammenbringen von Daten ist vor allem für kleinere Unternehmen eine Hürde“, sagt Nadia Grötsch, Geschäftsführerin der HR-Beratung Sieben Wunder und Dozentin für digitales Personalmanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena. Sie berät kleine und mittelständische Unternehmen zu smarter Personalarbeit. Kleinbetriebe wissen oftmals gar nicht, wie sie Daten nutzen und clever zusammenbringen können, sagt sie. Das Handwerk sei noch weit davon entfernt. Ihrer Erfahrung nach sind große Konzerne hinsichtlich Digitalisierung von HR teils weit voraus, im Mittelstand halten moderne Tools für das Personalmanagement gerade Einzug. Der Großteil der Unternehmen befinde sich somit irgendwo zwischen Konzern und Kleinbetrieb. Doch selbst wenn moderne Tools zum Einsatz kämen, könne von Vernetzungsansätzen und Datenauswertungen noch nicht die Rede sein.

Für Grötsch bedeutet Digitalisierung von HR: Verwaltung durch eine Maschine wegzunehmen, damit HR-Verantwortliche mehr Ressourcen für den sozialen Aspekt der Personalarbeit haben. Sie sieht in der Digitalisierung von HR keinen Selbstzweck. Es geht um die Effekte dahinter, die sich Unternehmen davon versprechen. Gehört der Einsatz moderner Technologien für Industrieunternehmen zum Standard, stellt sich bei einem Dienstleistungsunternehmen die Frage, welchen Nutzen es sich am Ende davon verspricht. „Smart oder Big Data ist dann relevant, wenn es Entscheidungen unterstützt“, sagt Grötsch. Für HR eigne es sich insbesondere dann, wenn die Komplexität so umfangreich ist, dass man das große Ganze nicht mehr im Blick haben kann.

Smart versus Automatisierung

Neben Skills ist vor allem auch das Recruiting ein Thema für Smart HR. So nutzen manche Unternehmen beispielsweise Chatbots, um Jobsuchenden im ersten Schritt der Bewerbung Fragen zu beantworten, sagt die Geschäftsführerin Grötsch. Teilweise sei eine künstliche Intelligenz nachgelagert, die Bewerberinnen und Kandidaten mit der richtigen Stelle zusammenbringen. Auch eine Sprachanalyse komme vor, um Auswahlprozesse zu erleichtern. Ob eine automatisierte Auswahl gewünscht sei, müsse jedes Unternehmen für sich entscheiden.

Welche weiteren HR-Prozesse lassen sich automatisieren oder bieten sich für den intelligenten Einsatz digitaler Tools an? Der Wissenschaftler Christian Gärtner unterscheidet zwischen der Automatisierung von Abläufen und den Analysen, die einen Prozess erst intelligenter machen. So lassen sich entlang der HR-Wertschöpfungskette viele Prozesse automatisieren. Dazu zählt er unter anderem das Offboarding per Standardbericht und Austrittscheckliste oder kleinteilige Prozesse wie die Reisekostenabrechnung. Einen Schritt weiter folge die intelligente Auswertung von Daten, mit der Unternehmen Kündigungswahrscheinlichkeiten oder Entwicklungspotenziale von Beschäftigten einschätzen könnten. Damit könnte Risikokandidaten oder -kandidatinnen frühzeitig ein interessantes internes Angebot unterbreitet werden.

Datenanalyst Vetter sieht in der Automatisierung der Payroll, also die Gehaltsabrechnung einer Maschine zu überlassen, eine Möglichkeit, um Zeit zu sparen. Das gilt auch für die Personalplanung und das Workforce Management. Er hält es für smart, wenn die HR-Funktion ein Upgrade erhält und im Business integriert wird. So könne HR eine Steuerungs- und Managementfunktion wahrnehmen. Auch brauche es den Blick über den Tellerrand und ein strategisches Mindset. Langfristig erfolgreich sind aus seiner Sicht vor allem die Unternehmen, die die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine beherrschen, nicht diejenigen, die sich lediglich stark digitalisieren.

„Alleine der Wunsch, smarter zu sein, reicht nicht aus“, sagt HR-Beraterin Grötsch. HR brauche eine Spielwiese, um sich selbst und Neues auszuprobieren. Doch oftmals komme HR aus den Fleißaufgaben gar nicht heraus. Für Grötsch gehe es vor allem darum, dass die Akzeptanz für die Digitalisierung in der Organisation verankert wird. Die Unternehmensleitung müsste also auch Budget und Ressourcen zur Verfügung stellen, damit HR einen Beitrag leisten kann.

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Sven Lechtleitner, Foto: Privat

Sven Lechtleitner

Journalist
Sven Lechtleitner ist freier Wirtschaftsjournalist. Er hat ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie ein Fernstudium Journalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin absolviert. Von November 2020 bis Juli 2022 war er Chefredakteur des Magazins Human Resources Manager.

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