Herr Schalk, was genau macht ein Coach eigentlich?
Beim Coaching geht es immer darum, dass sich jemand verändern möchte, von A nach B kommen will. Oft schickt ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter in ein Coaching, weil ein neues Ziel angestrebt werden soll, zum Beispiel eine neue Rolle. Oder es gibt strukturelle Veränderungen im Unternehmen und dieser Prozess soll möglichst gut umgesetzt werden. Viele Arbeitgeber haben festgestellt, dass ein klassisches Training hier nicht sinnvoll ist und möchten dann ganz individuell die Mitarbeiter – vor allem Führungskräfte – durch ein Coaching dabei unterstützen, die Ziele in der neuen Position zu erreichen.
Was unterscheidet denn Coaching von Training und Beratung?
In einer Beratung gibt ein Fachexperte mit inhaltlichen Ratschlägen sein Fachwissen weiter und sagt dem Kunden, was zu tun ist, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Beim Training stehen meist Fähigkeiten im Vordergrund, die eingeübt werden sollen, was auch in der Gruppe möglich ist. Man hat dann eine Gruppe von Teilnehmern, die alle dasselbe lernen müssen und der Trainer begleitet sie dabei. Obwohl es auch Gruppen- und Teamcoaching gibt, geht es beim Coaching eher um einen individuellen Entwicklungsprozess. Da stehen weniger Lerninhalte im Vordergrund, sondern die persönliche Weiterentwicklung und Veränderung, jemand will persönliche Ziele erreichen. Deshalb ist der Coach meist kein inhaltlicher Experte, sondern ein Prozessexperte. Das inhaltliche Fachwissen bringt der Coachee, also der oder die Gecoachte, selber mit.
In welchen Situationen hilft Coaching im beruflichen Kontext weiter?
Eine klassische Situation ist: Jemand bekommt eine neue Rolle, also wird das erste Mal Führungskraft oder steigt auf und tut sich am Anfang schwer, diese neue Rolle auszuleben. Ich denke zum Beispiel an eine Teamleiterin, die bisher Teil des Teams gewesen ist und jetzt dasselbe Team leitet. Ihre früheren Kolleginnen und Kollegin sind jetzt plötzlich Untergebene. Sie muss nun diesen Rollenwechsel reflektieren, herausfinden, was das für ihr Verhalten bedeutet, wie sie jetzt mit den bisherigen Kollegen umgeht. Oft werden Menschen in so einer Situation ins Coaching geschickt, weil entweder der Vorgesetzte oder die Mitarbeiter merken, dass sie in der neuen Rolle noch nicht ganz angekommen sind. Coaching kommt oft bei Konfliktthemen zum Einsatz. Zum Beispiel, wenn es unter Kollegen Streitigkeiten gibt, oder zwischen der Führungskraft und dem Team. Auch starkes Lampenfieber kann man im Coaching bearbeiten.
Coacht man nur dann, wenn schon ein Problem da ist?
Nein, manche Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter auch vorbeugend zu mir. Zum Beispiel, wenn jemand eine große Aufgabe annimmt und der Arbeitgeber ihm oder ihr ein Coaching gönnt, damit er oder sie mit der Herausforderung bestmöglich umgeht.
Gibt es Situationen, in denen Coaching weniger sinnvoll ist?
Bei klassischen Trainingsthemen ergibt Coaching aus wirtschaftlichen Gründen wenig Sinn. Wenn jemand zum Beispiel sein Zeitmanagement verbessern soll und es geht nicht um seine individuelle Umsetzung, sondern darum, dass er erst einmal grundsätzlich lernt, wie man Zeit gut plant. Wenn jemand nun aber zum Beispiel schon alle möglichen Bücher zum Thema Zeitmanagement gelesen hat und es immer noch nicht auf die Reihe kriegt, kann ein Coach helfen.
Fehl am Platz ist Coaching dann, wenn es eindeutig in den therapeutischen Bereich geht. Ich hatte mal eine Führungskraft, die während des Coaching-Prozesses ein starkes Burnout entwickelt hat und eine Weile in der Klinik war. Da hört Coaching auf. Wir haben dann allerdings mit dem Coaching weitergemacht, nachdem die Führungskraft aus der Klinik zurückkam, um einen Rückfall zu verhindern – es ist hier also als Ergänzung denkbar.
Coaching ist also keine Therapie?
Nein. In Deutschland braucht man eine Zulassung, um therapeutisch zu arbeiten. Da ich Diplompsychologe mit therapeutischer Zulassung bin, darf ich es mir leisten, beim Coaching ab und zu in den Graubereich zu gehen, auch wenn Therapie nicht mein Schwerpunkt ist. Doch viele Menschen, die als Coach tätig sind, haben keinen psychologischen Hintergrund. Die können auch durchaus gut coachen, dürfen aber nicht therapieren.
Jeder kann sich Coach nennen, man braucht dafür kein bestimmtes Zertifikat. Woran kann man erkennen, ob ein Coach kompetent und gut ausgebildet ist?
Der Roundtable der Coaching-Fachverbände hat Mindeststandards gesetzt. Es gibt bestimmte Anforderungen, die ein Coach erfüllen muss, um seine Zertifizierung zu erhalten. Diese Standards wurden auch gerade wieder angehoben. Ist ein Coach von einem der Fachverbände des Roundtable zertifiziert, kann man davon ausgehen, dass er oder sie eine ordentliche Ausbildung hat und am Ball bleibt. Die Verbände im Roundtable zertifizieren übrigens auch Ausbildungsanbieter; das ist ein guter Orientierungspunkt für Menschen, die an einer Coaching-Ausbildung interessiert sind.
Woran merkt man, dass ein Coaching erfolgreich war?
Das ist zum Teil sehr subjektiv. Ich frage meine Coachees nach jedem Gespräch, wie gut sie ihre Ziele auf einer Skala von eins bis zehn erreicht haben. Dann bekomme ich eine Rückmeldung, die für mich als Coach schon wertvoll ist. Was ich nicht mitbekomme: Wie verändert sich mein Coachee im echten Leben, am Arbeitsplatz? Deshalb gibt es bei den meisten Unternehmen am Ende eines Coachings ein Auswertungsgespräch, bei dem meist der Vorgesetzte und jemand aus der Personalabteilung dabei ist. Das ist das Gegenstück zur Auftragsklärung am Anfang des Prozesses, bei der wir die Ziele formuliert haben. Am Ende machen wir dann einen Abgleich, inwieweit der Coachee diese Ziele erreicht hat. Das sind manchmal, aber nicht immer, messbare Ziele.
Manchmal ist es sehr auffällig, dass Coachees das durch Coaching Erlernte anwenden. Sie verhalten sich schlagartig anders, setzen zum Beispiel bewusst bestimmte Rhetorik oder Körpersprache ein, und wirken dabei wenig authentisch. Was kann man dagegen tun?
So etwas passiert vor allem, wenn jemand durch ein Training gegangen ist und dort modellhaft Dinge lernt, die nicht zu ihm passen. Im Coaching gebe ich keine Lösung vor, die der Coachee nachmachen muss, sie muss sich vielmehr aus ihm selber entwickeln. Damit ist die Gefahr, dass sein Verhalten nicht authentisch ist, von vorneherein geringer. Trotzdem kann das natürlich passieren. Die gute Nachricht: Das ist ein typisches Anfangsproblem. Wenn man etwas Neues macht, dann wirkt das oft ein bisschen aufgesetzt, man übt noch. Das vergeht aber mit der Zeit. Je mehr Routine man bekommt, desto natürlich wird das Verhalten. Außerdem reflektiert man beim Coaching immer wieder die Auswirkungen. Der Coachee erzählt, was er oder sie gemacht hat, wie es ihr oder ihm damit ging, wie andere darauf reagiert haben. Wenn man jetzt merkt, dass die Reaktionen nicht optimal waren, dann überlegen wir im Coaching, wie man das in Zukunft besser machen kann.
In vielen Unternehmen geht die Tendenz dahin, dass Coaching nicht nur Führungskräften vorbehalten ist, sondern Mitarbeiter:innen aller Hierachiestufen gecoacht werden soll. Ist das überhaupt empfehlenswert?
Vom rein menschlichen Aspekt her betrachtet würde ich sagen, ja. Aus Unternehmenssicht muss man natürlich fragen: Rechnet sich das? Coaching ist ja nicht ganz billig. Man kann zwar nachweisen, dass es sich lohnt und auszahlt, aber es muss in einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen.
Was halten Sie von Coaching-Apps, die Mitarbeiter:innen mit personalisiertem Coaching durch den Alltag begleiten?
Ich halte das für einen spannenden Trend, solange ein echter Coach dahintersteckt. Auch ich coache gelegentlich mit solchen Apps, zum Beispiel über Plattformen, die Coaches vermitteln und über verschiedenen Kanäle Coaching in kleinen Zeiteinheiten ins Unternehmen einstreuen. Ich mache diesen Trend bewusst mit, um mir anzusehen, wie er sich entwickelt, gerade weil ich schon seit über 20 Jahren virtuelles Coaching anbiete. Die Umsetzung überzeugt mich noch nicht überall.
Was müsste man denn noch verbessern?
Ich habe festgestellt, dass in vielen Apps der Videochat sehr zentral ist. Meiner Erfahrung nach ist das aber der unwichtigste Kanal. Menschen verhalten sich vor der Kamera oft eher unnatürlich und fühlen sich eingeengt. Wenn man den Videokanal durch einen reinen Audiokanal ersetzt und gleichzeitig ein interaktives Whiteboard verwendet, um etwas zu visualisieren, dann öffnen sich die Menschen viel mehr, weil sie fast eine Art Selbstgespräch führen. Sie sehen den Coach nicht, blenden ihn aus, kriegen aber strukturiert gezielte Fragen gestellt. Sie entwickeln zu ihrem Anliegen etwas weiter, können das mithilfe des Coaches auf dem Whiteboard darstellen, sind aber gleichzeitig nicht vor der Kamera gefangen. Damit habe ich viel bessere Erfahrungen gemacht als mit Coaching per Videochat.
Zum Gesprächspartner:
Christoph Schalk ist Diplompsychologe sowie Gründer und Geschäftsführer von drei Coaching- und Beratungsunternehmen. Unter anderem ist er Ausbildungsleiter der Würzburger Business Coach Akademie. Schalk coacht bereits seit 1994 und ist zertifiziert als Senior Coach BDP und Master Coach EASC.