Grenzschwund zwischen Privatleben und Arbeitsplatz
Rezension
Stellen Sie sich vor, Sie könnten dank eines gehirnchirurgischen Eingriffs Ihre Existenz in ein Arbeits-Ich und ein privates Sein aufteilen. Dieses Gedankenexperiment spielt die US-Serie Severance durch. Wir haben New-Work-Profis um ihre Meinung dazu gebeten.
Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).
Auf Mark Scouts Schreibtisch steht kein Foto seiner Familie, sondern eines von ihm und seinem dreiköpfigen Team. Das liegt nicht an der Clean-Desk-Policy des Arbeitgebers Lumon Industries, in dessen ominösen Datenteam er arbeitet. Grund ist stattdessen, dass die vier – wie viele andere Beschäftigte in dem riesigen Bürokomplex – keinen Bezug zu ihrem Privatleben haben. Die Hauptfiguren der Serie, deren erste Staffel mit neun Folgen seit dem Frühjahr auf Apple TV gestreamt werden kann, haben sich einem chirurgischen Eingriff unterzogen, der sogenannten Severance. Beim Eintritt ins Unternehmen willigten sie ein, ihre Privat- und Arbeitsrealitäten voneinander trennen zu lassen. Nach einem Schnitt am Oberkopf verfügen sie über zwei Daseinsformen, verniedlichend Innie und Outie genannt: Sie verlieren fortan mit morgendlichen Betreten des Firmengebäudes alle Erinnerungen an ihr Leben außerhalb des Konzerns. Sie kennen weder den eigenen Nachnamen, noch wissen sie, ob sie verheiratet sind oder Kinder haben. Begeben sie sich am Abend zurück in den Fahrstuhl, schaltet sich wiederum das Bewusstsein ihrer Arbeitsexistenz aus.
Regisseur Ben Stiller hat mit der Serie eine beklemmende Arbeitsdystopie geschaffen. Die in einem sektenartig organisierten Arbeitskosmos gefangenen Innies fügen sich teils in ihr Schicksal, andere rebellieren dagegen. Die Outies haben die Trennung indessen willentlich veranlasst. Dabei verfolgen sie unterschiedliche Motive. So hat sich Protagonist Mark nach dem Unfalltod seiner Frau dafür entschieden, sein Ich aufspalten zu lassen – um seiner Depression zumindest acht Stunden am Tag zu entkommen.
Schon klar, das ist Science-Fiction. Aber angesichts der Dauerbrennerdebatte über Balanceakte von Work und Life regt das Gedankenexperiment dazu an, auszuloten, was eine drastische Grenzziehung bedeuten würde. Wir haben drei serienbegeisterte HR-Fachleute um ihre Einschätzung dazu gebeten.
In der US-amerikanischen Science-Fiction-Serie Severance werden strikte Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben gezogen. Durch einen freiwilligen chirurgischen Eingriff an den Gehirnen der Angestellten einer New Yorker Firma namens Lumon Industries werden die Erinnerungen an ihre Arbeit von den Erinnerungen an ihr Privatleben getrennt. Regie führten Ben Stiller und Aoife McArdle.
Drei Meinungen zur Serie
Angestellte sind keine Maschinen
Eines ist sicher: Ich selbst hätte solch einem Eingriff niemals zugestimmt. Denn inzwischen gefällt mir die Idee der Work-Life Harmony. Allerdings kann es herausfordernd sein, bei solchen schwammigen Konzepten individuelle Grenzen zu ziehen. Gerade für Menschen, die Wissensarbeit leisten, hätte es dramatische Effekte, Berufs- und Privatleben komplett aufzusplitten. Denn wir brauchen den Wechsel von Arbeits- und Ruhephasen. Privates Auftanken, ob mit der Familie oder beim Hobby, ist wichtig, um Kreativität zu fördern. Deshalb rate ich Unternehmen dazu, ihren Beschäftigten auf Wunsch auch Weiterbildungen zu finanzieren, die nichts mit der eigentlichen Tätigkeit zu tun haben, Sprachkurse zum Beispiel. Unsere Freizeit hat einen großen Einfluss auf die Qualität unserer Arbeit. Hinzu kommt: Ein Nine-to-Five-Tag wie in der Serie dargestellt, ist unüblich geworden, die Grenzen lassen sich in der Arbeitsrealität auch zeitlich nicht mehr klar umreißen.
Meine Vermutung wäre: Wenn es eine Severance-Prozedur vor zehn Jahren gegeben hätte, hätten manche Unternehmen sie eingeführt – doch heute wären sie längst wieder davon abgerückt. Denn wer seine Angestellten wie Maschinen behandelt, die man ein- und ausknipsen kann, würde auf unserem Arbeitsmarkt niemanden finden. Es geht heute darum, Arbeitnehmern in ihren Bedürfnissen entgegenzukommen. Im Gegenzug sind die Beschäftigten auch eher bereit, sich zu öffnen und sich in privat schwierigen Phasen helfen zu lassen – das wäre in der Serie bei Hauptfigur Mark sinnvoller gewesen, als sein Leid während der Arbeit auszublenden.
Ich wäre jedenfalls traurig, wenn ich mein Berufsleben verpassen würde, weil es Spaß macht und mein Privatleben bereichert. Es kommt aber auch auf die Tätigkeit an: Wenn sich jemand mit Kriminalfällen auseinandersetzt oder damit, in sozialen Netzwerken Hassnachrichten zu löschen, dann könnte das Severance-Programm vielleicht heilsam sein, um sich in der Freizeit von diesen Eindrücken zu befreien. Marcus Merheim, Gründer der Beratung Hooman Employer Marketing (Foto: Till Tillmann)
Starre Grenzen berauben beide Sphären
Was eine radikale Trennung von Berufs- und Privatleben individuell bedeuten kann, illustriert diese Serie sehr gut. Eine so strenge Aufsplittung in privat und öffentlich ist zwar unwahrscheinlich, doch manche Führungskräfte wünschen sich diese klaren Grenzen in der Hoffnung auf weniger Ablenkung und mehr Effizienz. Aber worüber sollten wir in unserer Freizeit sprechen, wenn wir nicht mehr wissen, was wir in der Arbeitszeit gemacht haben? In den Purpose-Debatten geht es nicht darum, die Arbeit als solche überflüssig in unserem Denken zu machen. Ganz im Gegenteil. Sie soll Teil unseres Lebens und unserer Werte sein. Allzu starre Grenzen nehmen beiden Sphären viel. Wir verlieren für das Arbeitsleben dann Inspirationsquellen wie Bücher, Filme und private Gespräche und arbeiten wie in der Serie nur noch stupide vor uns hin.
Ich bin seit dem Jahr 2000 als Berater selbstständig, aber schon in meiner Angestelltenzeit in den neunziger Jahren habe ich keine scharfe Trennung zwischen Arbeit und Freizeit vorgenommen. Über zahlreiche Networking-Events, die ich auch selbst veranstalte, habe ich Freundschaften geknüpft und Businesskontakte kennen und schätzen gelernt. Eine Trennung zwischen den Sphären ist gleichermaßen faszinierend wie absurd, wenn wir unseren Job gerne machen.
Dennoch ist es gerade für Selbstständige sinnvoll, irgendwann abzuschalten und sich dann auf Themen zu konzentrieren, die nichts mit unserer Arbeitswelt zu tun haben. Je konsequenter ich mich ganz im Sinne von Severance abgrenze, desto besser ist es für mich. Ansonsten verfalle ich allzu schnell dem Optimierungswahn und erhole mich nur für das Arbeitsleben.
In Zukunft werden sich die Bereiche vermutlich eher noch mehr vermischen. Es wird wichtiger, dass starre Arbeitszeiten aufgehoben werden und Arbeitende die Chance erhalten, sich in ihrem Sinne Zeiten einzuräumen, in denen sie sich um ihre Kinder oder Angehörigen kümmern wollen. Klaus Eck, Selbstständiger Kommunikationsberater (Foto: Raimund Verspohl)
Menschen wollen Arbeit nicht auskoppeln
Als ich die Serie geschaut habe, hat das bei mir Erinnerungen geweckt. Zwar war ich schon immer selbstständig tätig, aber ich habe längere Zeit für einen Konzern gearbeitet, in dem ich genau diesen Eindruck hatte: Beim Betreten des Büros unterdrücken die Menschen einen Teil ihrer Persönlichkeit. Ich selbst war Start-ups gewöhnt und damit auch das Gefühl, authentisch sein zu dürfen. Im Laufe der Jahre habe ich als Beraterin Einblick in viele Unternehmenskulturen gewonnen. Und musste feststellen: Teils hat die Corporate-Welt auch heute noch solch eine beklemmende Wirkung. Die steht in krassem Kontrast zu der wohlvertrauten Umgebung im Homeoffice.
Eigentlich ist in der New-Work-Transformation der Wunsch verwurzelt, Arbeit eben nicht vom Leben auszukoppeln. Die Serie stellt dieses Prinzip auf den Kopf. Und das Ergebnis ist ziemlich gruselig! Das einzig Positive: Mark Scout und die anderen müssen sich keine Strategien überlegen, wie sie Arbeit bestmöglich in ihr Leben integrieren. Mentale Regulationskompetenz – also nicht ständig E-Mails zu checken – ist dabei wichtiger als scharfe räumliche und zeitliche Grenzen.
Gerade wenn es um Innovationen geht, wäre es auch nicht im Interesse von Unternehmen, wenn die Beschäftigten unterentwickelte soziale Kompetenzen hätten und bei jedem Firmenwechsel von vorn beginnen müssten. Es herrschte eine seelenlose Atmosphäre. Was uns von Robotern unterscheidet ist ja gerade, dass wir Daten aufgrund unserer Erfahrungen interpretieren können. Hinzu kommt: Statt am Rechner kommen uns gute Ideen oft dann, wenn wir Routinetätigkeiten durchführen. All das würde wegfallen. Für eine ideale Harmonie der Sphären wird es also nie eine simple Lösung geben. Führungskräfte sollten also nicht nachts auf Nachrichten antworten und ständig online verfügbar sein. Und sie sollten zu ihren persönlichen Schwächen stehen. Denn am Ende streben wir doch immer nach Zugehörigkeit und Vertrauen – im Privaten wie im Job. Tina Weisser, Expertin für Transformation & Service Design (Foto: privat)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Grenzen. Das Heft können Sie hier bestellen.
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Anne Hünninghaus ist Journalistin und Redakteurin bei Wortwert. Sie war von Januar bis Oktober 2019 Chefredakteurin i. V. des Magazins Human Resources Manager. Zuvor arbeitete die Kultur- und Politikwissenschaftlerin als Redakteurin für die Magazine politik&kommunikation und pressesprecher (heute KOM).