Die Zeichen stehen auf Wandel: Im Rahmen unserer Transformation wird die Zusammenarbeit über die Hierarchien hinweg mit den Menschen in unserem Unternehmen immer intensiver. Neue Arbeitsformen (Sprints, Kanban & Co) sorgen dafür, dass mehr Vertrautheit und Nähe entstehen. Das ist auch gut so. Die Menschen sollen sich auf einander zu bewegen. Schließlich geht es darum, die siloartigen, hierarchischen Strukturen aufzulösen und in einem neuen Modell der Zusammenarbeit aus Kunden- und Mitarbeitersicht noch erfolgreicher zu sein.
Das vertraute „Du“, wie es in Start-Up-Unternehmen vorgelebt wird, steht im Verdacht, solche Transformationsprozesse zu erleichtern. Aber ist das tatsächlich so? Als ich vor einigen Jahren in meine aktuelle Position gewechselt bin, haben sich im Vorstand, in der Führungsebene und bei den Mitarbeitern die meisten Menschen gesiezt. In meinem Job zuvor hatten wir im gesamten Unternehmen inklusive Vorstand hingegen eine Duz-Kultur. Hier bei der Fiducia & GAD stecken wir inzwischen in einem Umbruch. Das bringt auch Probleme mit sich. In Zeiten des Wandels achten die Menschen genau auf solche Symbole. Jeder hört genau hin, wer wen duzt – und wen nicht. Dem „Du“ oder „Sie“ wird dabei eine viel zu hohe Bedeutung gegeben.
Über solche Symbole sind wir in der Vergangenheit immer wieder „gestolpert“. Wir haben das im Vorstand diskutiert und es war ein erster, gar nicht so selbstverständlicher Schritt, in unserem Gremium vor einiger Zeit das „Du“ einzuführen. Aber sollte man das auch „per Vorstandsbeschluss“ im ganzen Unternehmen einführen? Wir haben uns klar dagegen entschieden. Wir hatten den Eindruck, dass vor dem Hintergrund unserer Historie ein von oben verordnetes Unternehmens-Du nicht gut ankommen würde.
Du per Default als Angebot
Das Du sollte man nicht verordnen. Man kann es aber vorleben. Für mich selbst habe ich die Konsequenz daraus gezogen: Ich biete das Du per Default aktiv an. Jeder kann und darf mich so ansprechen, außer jemand will das explizit nicht – das respektiere ich dann auch sehr gerne! Ich verstehe es gut, wenn Menschen sagen: Das ist zu viel der Nähe – so nah soll niemand in mein Umfeld eindringen. Meine Gruppenanrede erfolgt daher mit Ihr/Euch.
Nach einer Anlaufphase war ich neugierig darauf, wie unsere Mitarbeiter:innen das sehen. Ich habe daher die Frage, wie die Menschen zum „Du“ stehen, in meinem Unternehmensblog zur Diskussion gestellt. Das Interesse an dem Thema war riesengroß. Sehr viele Kolleg:innen waren aufgeschlossen bis begeistert. Das Du stehe für eine angenehmere Arbeitsatmosphäre, eine einfachere, direktere Kommunikation und es schaffe eine gewisse Vertrautheit. Aber es gab auch nachdenkliche Stimmen. Ein „Du“, verordnet von oben, das Differenzen zukleistert, wollen einige nicht. Es ersetzt keine Vertrauenskultur. Im Gegenteil: Es wird zum Boomerang, wenn die Menschen das „Du“ nicht authentisch einsetzen. Es gab Experimente wie zum Beispiel das „Ein-Tages-Du“ im Rahmen von Veranstaltungen oder das „Seminarraum-DU“ durch Kennzeichnung im Raum – aber das blieben Kuriositäten. Den Menschen ist es wichtig auch beim „Du“ mit der gleichen Wertschätzung und Respekt behandelt zu werden wie beim „Sie“.
Es geht um die persönliche Haltung.
Ich fühle mich mit dem vertrauten „Du“ sehr wohl. Es steht für den Spirit in unserer gemeinsamen neuen Kultur. Gerne mache ich auch den ersten Schritt – zum Beispiel durch die Email-Signatur #gernperDu oder durch die einfache Unterschrift nur mit meinem Vornamen. Authentische Führung ist aber viel mehr. Es geht darum, wie man Vertrauen und Wertschätzung lebt, wie man mit Kritik umgeht, wie man Feedback gibt. Und dabei können wir alle jeden Tag dazu lernen – „Du“ hin oder her. Hierarchien im Kopf zeigen sich nicht nur im Umgang mit dem Vorstand. Sie zeigen sich auch darin, wie wir miteinander umgehen: Ob Reinigungsfachkraft, Entwickler oder Empfangsmitarbeiter – sie alle tragen zum Erfolg des Unternehmens bei. Sie alle verdienen denselben Respekt. Hier gibt es immer wieder Denkhierarchien, die wir abbauen müssen. Es geht um die Haltung, Augenhöhe und das Fingerspitzengefühl: Team-Spirit erfordert Nähe und Toleranz. Das „Du“ muss ein Zeichen des Respekts sein vor dem Menschen. Nur dann können wir von einem wirklichen Kulturwandel sprechen.
Wenn der Mitarbeiter seinen Chef wählt
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