Prozesse optimieren, nicht verwerfen

KI und HR

Herr Professor Stowasser, Sie sind Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, das in verschiedene Fachbereiche unterteilt ist: Arbeitszeit und Vergütung, Arbeits- und Leistungsfähigkeit, Unternehmensexzellenz und digitale Transformation. Wo verorten Sie das Thema künstliche Intelligenz?

Sascha Stowasser: Wesentlich ist für uns, das Thema KI interdisziplinär anzuschauen. Wir haben deshalb ein KI-Team gegründet, bestehend aus Expertinnen und Experten aus allen Fachbereichen. Zudem verfolgen wir mehrere KI-Projekte, die unterschiedlichen Disziplinen und Fachbereichen zugeordnet sind. Beispielsweise ist in dem Fachbereich Digitale Transformation ein Kompetenzzentrum angegliedert, das sich sehr intensiv um die innovative Arbeitsgestaltung mit KI kümmert. Andere Projekte sind in den Fachbereichen Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie Unternehmensexzellenz angehängt.

Worauf liegt derzeit das Hauptaugenmerk? Geht es eher um Prozesse oder doch viel mehr um Arbeitskultur?

Grundsätzlich hängt beides zusammen. KI-Projekte sind nur dann erfolgreich, wenn wir die Kultur betrachten und einen vernünftigen Change-Prozess berücksichtigen. Ohne einen systematischen Einführungsprozess kriegt man die KI-Prozesse nicht zielorientiert umgesetzt. Andererseits lassen sich KI-Systeme nicht ohne Analyse der Arbeits- und Betriebsprozesse planen und einführen.

Wie ist der Forschungsstand zu KI in Unternehmen?

KI als Universaltechnologie ist nicht nur ein Trend, sondern – darin sind wir uns in der Arbeits- und Betriebsorganisation einig – diese Technologie wird überall Einzug halten. Diese qualitative Aussage kann ich momentan quantitativ nicht belegen. Hierzu bedarf es umfassender, aber auch gänzlich neu aufgelegter Arbeitsforschung.

Inwiefern?

Die geförderten Projekte der Arbeitsforschung dauern zu lange und sind nur punktuell wirksam. Die gegenwärtige Forschungsarchitektur sieht so aus, dass es zwei Jahre dauert, bis ein vom Staat gefördertes Projekt startet. In der Regel kommen dann noch zwei bis drei Jahre Projektlaufzeit hinzu – bis zum Ende des Projektes vergehen dann bis zu fünf Jahre. Über den langen Zeitraum schmunzelt unsere internationale Konkurrenz.

Bei welchen Arbeitsprozessen eignet sich KI grundsätzlich?

Im Prinzip kann in allen Bereichen, in denen viele Daten auftreten oder immer wieder gleiche Muster abgearbeitet werden, eine KI zum Einsatz kommen. Bestes Beispiel sind „Wenn dann-Regeln“, so etwa in der Qualitätssicherung bei der Prüfung, ob ein Produkt richtig oder falsch ist. Oder wenn große Datenmengen analysiert werden, zum Beispiel im Gesundheitswesen bei der Auswertung von Röntgenbildern oder in der Justiz bei der Sichtung massenhafter Gerichtsurteile. KI kann mittlerweile auch programmieren, teilweise besser als der Mensch.

Was lässt sich daraus für den HR-Bereich ableiten?

KI kann Texte und Zeugnisse besser analytisch auswerten als der Mensch. KI kann beispielsweise Lebensläufe viel schneller durchforsten als der Mensch und ist (sofern richtig trainiert) objektiver. Chatbots werden in großen Unternehmen zukünftig durchweg durch KI unterstützt werden. So haben Unternehmen im HR-Bereich KI-Chatbots aufgebaut, die immer wieder aufkommende Fragen der Belegschaft beantworten können. Die kleinen Unternehmen werden folgen.

Gerade der KI-Einsatz im sensiblen HR-Bereich wird oft skeptisch debattiert, weil dieser doch eher in Menschenhand gehöre.

Ich persönlich bin der Meinung, einfache Dinge kann man gut der KI überlassen. Dann hat HR mehr Zeit für die schwierigen Sachverhalte oder persönliche Beratungen – gerade das persönliche Gespräch zeichnet einen exzellenten HR-Bereich aus.

Sie sprachen eben den Einführungsprozess an. Was sollte unbedingt beachtet werden?

Zunächst muss der Nutzen der klar formuliert werden. Was will das Unternehmen mit dem Einsatz erreichen? Sollen die Bewerbungsprozesse vereinfacht werden? Dann stellt sich die Frage, ob die vorhandene IT-Infrastruktur das hergibt. Zudem muss klar sein, was die Konsequenzen für alle Beteiligten sind, wenn es zur Einführung von KI kommt.

Welche HR-Prozesse sollten hinsichtlich des Einsatzes von KI auf den Prüfstand?

In den operativen Bereichen gibt es viele Einsatzmöglichkeiten für KI-Systeme von Einstellung über Austritt bis zur Personaleinsatzplanung. Dennoch empfehle ich, im ersten Schritt nicht die vollständige HR-Prozesskette mit KI zu automatisieren. Die KI ist aktuell nicht so mächtig, dass sie Prozesse vollkommen selbstständig abwickelt. Die Frage ist im Moment eher, in welchen Teilprozessen kann punktuell die KI als Werkzeug eingesetzt werden, und weniger, wie die Prozesse völlig umgestellt werden. Auch beim strategischen HR-Management kann KI derzeit kaum helfen. Hier sind die Führungskräfte und Beschäftigten weiterhin gefragt.

Das raten Sie Personalverantwortlichen im Umgang mit dem Thema HR und KI?

HR sollte bestehende Prozesse nicht aufgrund einer Technologie gänzlich über den Haufen werfen. Vielmehr müssen vorhandene Prozesse optimiert und mit KI-Unterstützung in die Zukunft gebracht werden. Wenn die Prozesse eher willkürlich ablaufen, sind diese und deren Datenarchitektur erst einmal zu analysieren, zu beschreiben und zu stabilisieren. Eine KI hilft im unstrukturierten Raum mit unklarer Datenlage wenig. Ich sehe großes Potenzial für den Einsatz im Screening von Lebensläufen oder von Social-Media-Profilen und in der Personaleinsatzplanung, vor allem in der Schichtplanung für den Blue-Collar-Bereich.

Ich empfehle, KI in Ansätzen zu erproben, aber nicht die ganze Prozessarchitektur in den nächsten Jahren zu verwerfen. Auch aus einem anderen Grund: Die EU arbeitet derzeit an dem mächtigsten KI-Gesetz der Welt, dem EU AI Act, der vielleicht nächstes Jahr verabschiedet wird. Verfahren aus dem HR-Bereich stehen auf der Hochrisiko-Liste. Wir wissen nicht, was in der EU ausgehandelt werden wird, sodass es durchaus Sinn macht, erst einmal die Regulatorik abzuwarten.

Das nimmt vielleicht jetzt einigen HR-Abteilungen ein bisschen Druck aus dem Kessel.

Der Betrieb ist der Ort, wo die digitale Transformation stattfinden wird. Dafür muss zunächst Akzeptanz geschaffen werden. Auf der anderen Seite sind die Ansprüche und Wünsche an die KI hoch. Wir dürfen nicht erwarten, dass die KI von heute auf morgen alle Herausforderungen lösen kann. Ich rate den Unternehmensleitungen dazu, erst einmal genau zu überlegen, wo speziell KI in den Unternehmen helfen kann.

Wie kann HR die Belegschaft konkret auf den Einsatz von KI vorbereiten?

Die Akzeptanz der KI ist entscheidend für den erfolgreichen Einsatz von KI. Drei Punkte sind wichtig für die Akzeptanz der KI in der Belegschaft: Transparenz, Partizipation und Kompetenz.

Welche Kompetenzen braucht es?

Immer wird gefordert, dass jede und jeder Beschäftigte tiefgehendes digitaltechnisches Wissen benötigt. Dies stimmt nicht. Wichtig sind ein Grundverständnis über KI, Offenheit, Neugierde und Prozesswissen. Dazu gehört auch die Kompetenz zum richtigen Umgang mit den Ergebnissen der KI: Nicht alles, was eine KI ausgewertet hat, kann ungeprüft übernommen werden. Wir brauchen Fachkräfte, die analysieren und einordnen können, was eine KI erzeugt hat. Da kommt auch viel Datenmüll bei raus.

KI markiert einen großen Umbruch in der Arbeitswelt, der den Menschen auch Angst macht. Wie beurteilen Sie die psychologischen Aspekte und wie kann HR hier Orientierung geben?

Es gibt drei Ängste, die wir immer wieder identifizieren, die auch in unseren Projekten immer wieder auftauchen. Die erste Angst ist immer wieder wie bei jeder Technologieeinführung: Mein Job ist weg. Daran hat sich seit der ersten Revolution mit der Dampfmaschine nichts geändert. Die Angst des Verlustes der Existenzsicherung ist menschlich, urtypisch und psychologisch absolut nachvollziehbar.

HR kann Kommunikationsstrategien mitentwickeln, sei es über Betriebsversammlungen, Mitarbeiterzeitungen, Sonderdrucke oder Veranstaltungen. Ich habe bisher noch keinen Fall erlebt, in dem gesagt wurde: Wir führen KI ein, damit wir Leute entlassen können. Und wenn dem so ist, muss es so platziert werden. Jede Technologie hat auch Verlierer, so hart es klingt.

Die zweite Angst ist: Was passiert mit meinen personenbezogenen Daten? Das ist eine KI-spezifische Angst, weil mit KI sämtliche Daten über meine Arbeit erfasst werden können. Hier kann eine transparente Betriebsvereinbarung helfen. HR ist maßgeblich beteiligt, hier eine Vertrauenskultur zu schaffen. Und die dritte Angst ist die, dass die Beschäftigten nicht wissen, wie sie mit der neuen Technologie, der KI-BlackBox, umgehen sollen. Auch hier hat HR einen massiven Aufgabenbereich vor sich, die Menschen mit Ausbildung, Kompetenzentwicklung und Qualifizierungsprogrammen zu befähigen.

Dennoch werden viele Jobs sich verändern. Was heißt das für das Talentmanagement? Wird es eine Art Job-Shift geben oder werden einige Jobs wirklich ersatzlos wegfallen?

Auch das wird eine große Herausforderung für HR gemeinsam mit den Führungsverantwortlichen sein. Dabei wird KI unterstützen, um freie Ressourcen im Unternehmen zu erkennen oder um im Agilitätscharakter Teams zusammenzustellen. Wichtig ist es, zu erklären, warum Teambuilding jetzt mithilfe von KI gemacht wird. Womit wir wieder beim Einführungsprozess wären mit Transparenz, Partizipation und Kompetenz.

Wie sehen Sie den Einflussbereich von HR, damit Menschen und Maschinen gut zusammenarbeiten können?

HR-Bereiche und ihr Portfolio sind so unterschiedlich wie die Unternehmen selbst. Mein Bild von moderner Arbeit ist, dass HR den Menschen als Mittelpunkt im Unternehmen in allen Belangen unterstützt. Das gilt auch für die Einführung so fundamentaler Veränderungen mit dem Einsatz von KI. Es bedeutet auch Unterstützung darin, die notwendigen Kompetenzen zu erlangen. HR hat für mich hier eine sehr, sehr wichtige Aufgabe, die Menschen für die Zukunft stark zu machen. Dafür braucht es Kompetenz und Qualifikation von HR.

Über den Gesprächspartner:

Sascha Stowasser ist seit 2008 Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) in Düsseldorf und seit 2009 außerplanmäßiger Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der diplomierte Wirtschaftsingenieur studierte zusätzlich Verhaltenswissenschaften und promovierte in Ingenieurwissenschaften. 2002 erwarb er die Habilitation mit Lehrbefugnis für das Fach Arbeitswissenschaft. Stowasser ist zudem Mitglied in verschiedenen Gremien wie dem Rat der Arbeitswelt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und dem Kuratorium des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo):

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Treue. Das Heft können Sie hier bestellen.

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Sabine Schritt ist leitende Redakteurin beim Human Resources Manager.

Sabine Schritt

Sabine Schritt ist leitende Redakteurin des Magazins Human Resources Manager. Sie war zuvor 25 Jahre als freie Journalistin tätig. Nach verschiedenen Stationen im Tagesjournalismus und bei Ratgeber- und Lifestyle-Publikationen, beschäftigt sie sich seit über 15 Jahren intensiv mit Themen rund um die Arbeitswelt, HR und Führung. Die gebürtige Kölnerin war zudem bis 2012 stellvertretende Chefredakteurin des Schweizer Fachmagazins HR Today in Zürich. Anschließend war sie zehn Jahre als freie Redakteurin für das Fachmagazin Personalführung tätig. Sabines besonderes Interesse gilt den Aspekten:  Zusammenarbeit, Kommunikation, digitale Transformation, Kulturwandel in Unternehmen, Rollenverständnis von HR, Persönlichkeitsentwicklung.

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