„Die geschützten Männer“ lautet der Titel einer Dystopie vom französischen Autor Robert Merle, die in den 1970er Jahren erschienen ist. Ein unbekanntes Virus greift im Roman Männer im geschlechtsreifen Alter an. Die infizierten Personen sterben nach kurzer Zeit, und so übernehmen Frauen sukzessive alle wichtigen Positionen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Die wenigen verbliebenen Männer werden „geschützt“ in Lagern untergebracht und jeglicher Freiheiten beraubt. Ohne allzu viel zu verraten (das Buch ist wirklich spannend!), lässt sich bereits nach den ersten Seiten erahnen, dass eine Welt, die zwar von Frauen, aber dann auch nur von ihnen regiert wird, keine wirklich erstrebenswertere ist. Denn Frauen sind ja nicht per se die besseren Menschen. Die Mischung macht’s: Für gesellschaftliche Ungleichheit bezahlen einfach alle einen hohen Preis – und das nicht nur im Roman, sondern in der Realität.
So zeigt auch Michelle King mit ihren aktuellen Forschungsergebnissen („The Fix. Overcome the Invisible Barriers That Are Holding Women Back at Work“), dass Männer durch Geschlechterungleichheit am Arbeitsplatz ebenso benachteiligt werden. Grund für die Missstände in Unternehmen ist das viel zu häufig gelebte und beförderte Modell des „ideal workers“ (The Fix, S. 25ff). Dieser Typus
- ist weiß, männlich, heterosexuell,
- ist frei von Haus- und Erziehungsarbeit (die wird von ihm nach wie vor als „Frauenarbeit“ betrachtet),
- setzt Arbeit an die erste Stelle – inklusive Nacht- und Wochenendarbeit, permanenter Erreichbarkeit im Urlaub wie an Feiertagen,
- zeichnet sich durch eine extrovertierte, dominante und kompetitive Art aus, die mit Kompetenz und Können gleichgesetzt und entsprechend honoriert wird,
- tritt entschlossen auf, auch wenn dies bedeutet, Entscheidungen im Alleingang zu treffen.
Was wie ein überholtes Abbild der 1950er Jahre wirkt, ist auch heute noch in den Köpfen von 83 Prozent der Männer fest verankert. Dem stereotypen, bewahrenden Männlichkeitsbild stehen lediglich 17 Prozent Befürworter eines modernen, flexiblen, „ganzheitlichen“ Mannes gegenüber. Diese Tiefenanalyse von Professor Carsten Wippermann ist ernüchternd und wird auch durch die jüngsten Arbeiten des Forschungscenters Coqual belegt, wonach 58 Prozent der befragten Männer Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Gleichstellung am Arbeitsplatz nicht oder nur für wenig wichtig erachten. Dabei haben eben auch Männer erhebliche Nachteile durch das überholte „ideal worker“-Abziehbild und schaufeln sich, wie etwa die kanadische Men‘s Health Stiftung bezeichnend schrieb, mit dem ungesundem Verhalten im Arbeitskontext vorzeitig ihr eigenes Grab.
Männer im Berufsleben: fit in or forget it
- Unsichtbare Last: Männer tragen sehr wohl schwer an dem gesellschaftlichen Bild, das ihnen einen begrenzten Radius an Verhaltensweisen zubilligt und in eine Rolle drängt. Der Druck, einer klassischen Norm zu entsprechen ist bei manchen Männern so stark, dass sie dreimal öfter als Frauen Suizid begehen – auch weil entsprechende Vorerkrankungen wie Depressionen nicht rechtzeitig bei ihnen diagnostiziert werden. Anonym befragt, erleben 81 Prozent der Männer ihre tägliche Arbeit als stressig, 60 Prozent haben Schwierigkeiten nachts gut zu schlafen und ebenfalls 60 Prozent gehen, obwohl sie krank sind, zur Arbeit.
- Ernährer der Familie: Die stereotype Erwartung ist, dass Männer weiterhin die Hauptlast des Brötchenerwerbs tragen und Frauen lediglich „hinzuverdienen“. Das wird in Deutschland nicht allein durch ein antiquiertes Ehegattensplitting gesellschaftlich zementiert. Auch die Erwartungen an Präsenzzeiten in der Firma tragen zum Erhalt dieses Bildes bei. Tatsächlich erhöht sich der Anteil an den Arbeitszeiten bei Paaren, die Kinder haben – Männer ohne Kind arbeiten im Durschnitt 40,5 Stunden pro Woche, mit einem Kind 42,3 Stunden pro Woche.
- Double bind dilemma, das heißt die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest oder Cholera: Männer, die versuchen, ein anderes Wertesystem zu leben, tragen die Kosten aufgrund geringerer Aufstiegschancen und eingeschränkter Karriereoptionen. Entsprechen sie allerdings dem gängigen Stereotyp, bezahlen sie das mit negativen Folgen für die eigene Gesundheit, Zufriedenheit und Glück in der Beziehung.
Wenn wir also über Gleichstellung sprechen und mehr Frauen in Führungspositionen wollen, dann brauchen wir einfach auch (Lebens-)Partner, die ihrerseits in einem fairen und gleichstellungsorientierten Arbeitsumfeld erfolgreich sein können – und das ohne ihre individuelle Identität aufzugeben.
Was also können Unternehmen tun, um Männer eine Pluralität an Rollen und damit ein sinnstiftendes Arbeitsleben zu ermöglichen? Wie müssten sich Männer selbst einbringen, damit Gleichstellung auch für sie positiv erlebbar wird?
Noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Angesichts der Tatsache, dass Entwicklungen in der Besetzung von Führungspositionen mit Frauen in Unternehmen nur zäh voranschreiten, könnte man tatsächlich etwas sarkastisch formulieren, dass eigentlich doch an 364 Tagen im Jahr bereits Weltmännertag sei und der 19. November daher gar nicht wirklich benötigt würde. Bei genauerer Betrachtung der Fakten wird aber klar, der Tag ist wichtiger denn je: Er erinnert daran, dass wir nur gemeinsam ein (Arbeits-)Umfeld schaffen können, in dem sich alle mit ihrem Potenzial einbringen können. Daher: ein ausdrückliches Hoch auf all die fortschrittlichen Männer unserer Zeit und Happy International Men‘s Day!
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