Es ist eigentlich jedes Jahr das gleiche Trauerspiel – auch 2020 zeigte der Gallup Engagement-Index große Mängel bei der bewerteten Arbeitsumgebung in Unternehmen:
- 68 Prozent der Arbeitnehmer:innen machen nur noch Dienst nach Vorschrift.
- 5,7 Millionen Arbeitnehmer:innen haben innerlich bereits gekündigt.
- Hochrechnungen zufolge liegen die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund von innerer Kündigung bei 96,1 bis 113,9 Milliarden Euro
- Arbeitnehmer:innen mit einer geringeren emotionalen Bindung zum Unternehmen sind häufiger abwesend.
Als einer der Hauptgründe für die fehlende Motivation der Arbeitnehmenden werden regelmäßig die Vorgesetzten genannt. Die Mehrzahl der heutigen Führungskräfte sind übrigens noch immer Männer. Und so stellte einmal Prof. Dr. Tomas Chamorro-Premuzic die naheliegende Frage „Why Do So Many Incompetent Men Become Leaders?“
Seine Antwort darauf: Nach wie vor werde sich zu viel an den wenigen Frauen („Kann die das?“), an Quotendebatten („Bei uns geht es doch nur um Qualifikation“) und Nebenschauplätzen („Erstmal müssen wir ausreichend Kitas schaffen“) abgearbeitet, statt die systematische Auswahl guter Führungskräfte zu verbessern. Was aber bringen gute Führungskräfte überhaupt mit? Forscher:innen wie Michelle Penelope King, Herminia Ibarra oder eben Tomas Chamorro-Premuzic nennen hier ähnlich lautende Kompetenzen:
- Anpassungsfähigkeit: Guten Führungskräften fällt es leicht, fortwährend zu lernen und resilient auf Veränderungen zu reagieren
- Emotionale Intelligenz
- Ergebnisse erzielen: laut Prof. Chamorro-Premuzic bringen kompetente Vorgesetzte „einen Haufen Menschen dazu, ihre persönliche Agenda beiseitezulegen, um etwas zu erreichen, das sie alleine nicht schaffen könnten“
- Vertrauen schaffen: Kompetente Führungskräfte sorgen dafür, dass sich die Teammitglieder vertrauen, sich alle einbringen und zusammen Leistungen erzielen, mit denen sie die Konkurrenz übertreffen.
Tomas Chamorro-Premuzic sieht ein Hauptproblem darin, dass diejenigen Fähigkeiten, die einem zunächst zum Job verhelfen (großes Selbstbewusstsein, hohe Visibilität) nicht die gleichen sind, die einen den Job gut machen lassen (Kompetenz, Eingehen auf Andere).
„What it takes to get the job is … reverse of what it takes to do the job well“.
Dass nicht die Kompetentesten weiterkommen, hat mit den Beförderungsentscheidungen und den an diesem Prozess beteiligten Personen zu tun:
1.Fehlende Transparenz der Beförderungskriterien:Wenn es überhaupt verschriftlichte und damit einheitliche Kriterien gibt, sind diese oft nicht ausreichend bekannt, transparent und werden nicht einheitlich angewendet.
2. Vorhandene Kriterien unterliegen oftmals Wahrnehmungsverzerrungenund sind daher unterschiedlich in der Anwendung und Auslegung – je nach Geschlecht der beurteilten Person.
a) Beispielsweise erhalten Frauen deutlich weniger konkretes Feedback auf ihrem Karriereweg und damit weniger handlungsbezogene Hinweise auf Verbesserungspotenzial. Der Mangel an Unterstützung durch klares Aufzeigen sowohl der spezifisch erbrachten Leistungen als auch der (technischen) Fähigkeiten und Fertigkeiten, die noch ausgebaut werden müssen, bringt Nachteile sowohl in der persönlichen als auch in Konsequenz der beruflichen Entwicklungen mit sich. So konnten Shelley J. Correll und Caroline Simard aufzeigen, dass vages Feedback mit niedrigeren Leistungsbewertungen für Frauen einhergeht – aber nicht für Männer. Das wiederum wirkt sich auf die Beförderungsentscheidungen aus.
b) Zweierlei Maß: Auf der einen Seite zeichnet die große Zahl an speziell an Frauen gerichtete Verhandlungs-, Rhetorik- oder Stimmtrainer:innen, Imageberater:innen und Branding-Expert:innen das Bild, wonach ihre Führungspräsenz, ihre Fähigkeit, „einen Raum zu füllen“, ihr Führungsstil und ihr öffentliches Image nicht ausreicht um ins Bild zu passen,„to fit in“. Die Prämisse ist, dass Frauen nicht sozialisiert wurden, um in der Welt der Männer erfolgreich zu konkurrieren, und deshalb müssen ihnen die Fähigkeiten beigebracht werden, die ihre männlichen Gegenstücke auf natürliche Weise erworben haben. Aber gleichzeitig – und das ist der doppelte Standard – sollen sie auch nicht wie Männer wahrgenommen werden, sie müssen sich „zurückhalten“, sonst riskieren sie, als „zu aggressiv“ abgestempelt zu werden. Ibarra fasst diesen Doppel-Standard zusammen: „Either way, the research concludes, women are evaluated against a ‘masculine’ standard of leadership that leaves them limited options and distracts attention from the task at hand.“
c) Vitamin-B hilft: zumindest Männern. Keine unmittelbar neue Erkenntnis, aber die Harvard-Forschung „How Schmoozing Helps Men Get Ahead“ bestätigt, dass häufige soziale Interaktionen zwischen Mitarbeitern und ihren männlichen Chefs deren Karriere befördert und zwar nicht ausschließlich nach Feierabend, sondern auch bereits im Tagesgeschäft, etwa beim regelmäßigen Austausch zu Projekten.
d) Verschenktes Potenzial: Frauen werden nach Performance beurteilt, Männer nach Potenz In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Männern Aufgaben zugetraut werden, obwohl sie diese noch nie zuvor gemacht haben, während Frauen erst Leistung in dem Feld zeigen müssen, bevor ihnen überhaupt eine neue Aufgabe angetragen wird. Auch das hat natürlich Implikationen für die Repräsentation von Frauen in Führungspositionen.
Um es ganz deutlich zu machen: Frauen sind nicht die besseren Menschen und es gibt auch keinen wesensmäßigen biologisch fundierten Unterschied zwischen den Geschlechtern, der Frauen qua Natur empathischer, teamfähiger oder gar harmonischer macht. Auch das sind stereotype Zuschreibungen.
Es braucht aber eine größere Streuung an Führungsstilen als bisher, um funktionale und erfolgreiche Teams zu bilden. Daher ist die Frage nicht richtig, ob sie oder er das eigentlich kann. Die Frage müsste lauten: Wer kann es?
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