Optimierungspotenziale in der People-Strategie

Eine Frage der Einstellung

Es geht heute mehr denn je darum, die richtigen Talente zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben – sonst löst sich selbst der beste Businessplan in Luft auf. Doch die Ausgangssituation, um genau das zu erreichen, wird täglich schwieriger und die gelernten Mechanismen der Talentakquise funktionieren nicht mehr. Die meisten Unternehmen steigen in ihrer Not in ein Spiel ein, das sie auf Dauer nur verlieren können: Sie pumpen Geld in Stellenbörsen und ins Headhunting. Ihre Hoffnung: eine höhere Reichweite für ihr Stellenangebot, Masse statt Klasse. Doch diese Reichweite wird immer teurer und die Zahl der interessierten und passenden Talente schmilzt: Gerade einmal 26 Prozent von ihnen sind aktiv auf Jobsuche. 

Es braucht eine komplett neue Strategie, um die dringend benötigten Talente zu gewinnen und offene Vakanzen zu schließen – und das in den meisten Fällen auch ohne die Hilfe externer Dienstleistender. Nur wie und mit welchen Tools?

Erfolgsprinzipien aus dem E-Commerce übertragen

Was beim Thema Recruiting schon ausgezeichnet funktioniert, klappt auch bei der Personalstrategie – es lassen sich Erfolgsprinzipien aus dem E-Commerce übertragen: Aus dem bekannten Business Model Canvas wird das Direct to Talent Strategy Canvas, inklusive der dazugehörigen adaptierten Begrifflichkeiten. Mit diesem System lässt sich die gesamte Personalstrategie auf einem Onepager darstellen, evaluieren und planen. Zudem bietet es Transparenz darüber, was HR konkret leistet, um die (Business-) Ziele des Unternehmens zu erreichen.

Der Einsatz dient vor allem aber auch einer übergeordneten Absicht: HR an den strategischen Tisch zu holen. Denn: Wenn Talent die knappe Ressource wird, dann muss das Business aus People-Sicht gestaltet werden.

Von der Ist-Analyse zum Soll-Plan

Die Anwendung eines solchen Canvas ist denkbar einfach – ein paar grundlegende Dinge sollten trotzdem beachtet werden:

  • Es sollten bestenfalls alle Verantwortlichen aus dem Bereich HR mit an Bord geholt werden – Recruiterinnen und Recruiter ebenso wie Head of Recruiting, Head of HR oder Head of Employer Branding.
  • Beim ersten Ausfüllen des Canvas geht es darum, den Status quo zu erfassen, entweder mit eigenen Daten oder indem sich über den Branchendurchschnitt angenähert wird.
  • Mit einer solchen Ist-Analyse gehen Personalverantwortliche – idealerweise, bevor der Businessplan gemacht wird – zum C-Level. Dann geht es um Antworten auf die Fragen, was an Wachstum (oder auch an Einsparungen) vorgesehen ist. Auf dieser Basis kann geplant werden, wie HR dazu beitragen kann, diese Ziele zu erreichen.
  • Jetzt ist es an der Zeit, kreativ zu werden und Neues auszuprobieren: Was können Recruiting-Verantwortliche tun, um die richtigen Stellschrauben zu drehen? Was kann zukünftig anders, neu oder besser gemacht werden? Mindestens zwei neue Ansätze samt geeigneter KPI (Key Performance Indicators, Schlüsselkennzahlen) sollten es in die Umsetzung beziehungsweise Testphase schaffen.
  • Am besten überprüfen Recruiting-Verantwortliche quartalsweise, wie sich die Maßnahmen und Zahlen entwickeln: Was hat etwas gebracht, was nicht, was soll noch etwas länger getestet werden? Welche neuen Ideen schicken wir ins Rennen?

Der Sieben-Schritte-Plan

Das Canvas umfasst sieben Spalten, die befüllt werden wollen. Dies passiert immer mit dem Ziel, drei essenzielle Werte zu berechnen: Talent Acquisition Costs, Talent Lifetime Value und das Verhältnis zwischen diesen beiden.

Die Talent Acquisition Costs umfassen die Kosten für alle Maßnahmen, um Mitarbeitende für das Unternehmen zu gewinnen. Die Gesamtsumme geteilt durch die Zahl an Einstellungen ergibt die Talent Acquisition Costs. Diese Zahl explodiert beispielsweise, wenn Kandidatinnen und Kandidaten nach dem letzten Interviewschritt oder nach Versand des Vertrages abspringen. Dem kann aber entgegengewirkt werden, indem Talenten ein besseres Self Assessment ermöglicht wird.

Der Talent Lifetime Value beschreibt den Wert, den Mitarbeitende je Jahr für das Unternehmen erwirtschaften. Er setzt sich aus den Daten rund um Talent Mobility und Talent Lifetime Cycle zusammen. Diese Zahlen gehen beispielsweise bei Kündigungen durch die Decke – hier kann teilweise mit Retention-Maßnahmen entgegengewirkt werden.

Die Ratio von Talent Acquisition Costs und Talent Lifetime Value sagt etwas über das Verhältnis zwischen den Kosten für die Mitarbeitergewinnung und dem, was er oder sie voraussichtlich erwirtschaften wird, aus. Beides muss in einem guten Verhältnis zueinanderstehen, ideal ist eine Ratio von Acht. Verbessern kann man diese, indem die Talent Acquisition Costs reduziert werden, das heißt, Talente günstiger an Bord zu bekommen, oder indem der Talent Lifetime Value erhöht wird (das bedeutet, dass Talente länger an Bord bleiben und für mehr Anteil am Umsatz oder Gewinn sorgen).

Dann gilt es, aus Sicht des Unternehmens folgende Fragen zu beantworten:

 

  • Key Channels: Wo mache ich Talente auf mich aufmerksam? Beispielsweise kann ich dies organisch über Google Jobs vornehmen. Oder schalte ich bezahlte Stellenanzeigen bei LinkedIn und Indeed und/oder investiere ich in externe Dienstleistungen wie eine Headhunterin oder einen Headhunter?
  • Key Activities: Welche Maßnahmen setze ich um? Setze ich auf Scouting oder Active Sourcing? Was biete ich in Sachen Self Assessment: Ist die Stellenanzeige so detailliert und transparent, dass Talente noch vor der eigentlichen Bewerbung abschätzen können, ob der Job zu ihnen passt oder nicht? Könnte man (Online-)Events veranstalten, um Talenten im lockeren Austausch etwas über die Unternehmenskultur und Unternehmenswerte mitgeben zu können?
  • Key Resources: Welche Ressourcen setze ich ein? Habe ich eine richtig gute Karriereseite? Arbeite ich neben dem Hiring Manager vielleicht auch mit einer eigenen Recruiterin (oder gar einem ganzen Recruiting-Team) – und verzichte stattdessen womöglich auf die deutlich höheren Kosten für eine Headhunterin oder einen Headhunter? Und ergänze ich meine Aktivitäten um spezialisierte Talent-Pools oder Nischenportale?
  • Value Proposition: Welche Benefits biete ich an? Was sind die echten Mehrwerte eines Jobs, einer Abteilung oder meines gesamten Unternehmens? Wie stelle ich sie dar? Gibt es eine Umsatzbeteiligung oder maximal flexible Arbeitsbedingungen? Und ganz konkret auf den Job bezogen: Wie viel Freiheit haben Mitarbeitende? Welcher Teil einer größeren Vision sind sie bei mir?
  • Talent Relation: Was tue ich für die Mitarbeiterbindung? Wie sehen die Karrierepfade und Weiterbildungsmöglichkeiten im Unternehmen aus? Welche Chancen biete ich High Potentials? Wie sieht es mit Teambuilding-Maßnahmen aus?
  • Talent Mobility: Wie lange bleiben Menschen auf ihren Positionen? Sind interne Karrieren gewünscht? Wie werden sie kommuniziert? Und warum (und wie) fördern wir das im Unternehmen – oder eben auch nicht
  • Talent Lifetime Cycle: Wie lange bleiben Mitarbeitende zu welchen Konditionen im Unternehmen? Wie ist die Fluktuationsrate im Unternehmen? Und womit kann ich sie beeinflussen? Wie helfe ich meinen Mitarbeitenden, produktiver zu werden? Wie mache ich sie zufriedener, um sie nachhaltig im Unternehmen zu halten?

Fazit

Auch in unserem Unternehmen haben wir das Canvas eingesetzt und ich bin beeindruckt zu sehen, wie viel Kraft – und Optimierungspotenzial – in uns steckt und wie wir zunehmend unabhängig von externen Dienstleistern werden und stattdessen die Kreativität im People and Culture-Team zu explodieren scheint. Bei aller (berechtigten) Ernsthaftigkeit beim Thema People-Strategie – lasst uns dennoch mutig sein, Neues auszuprobieren, Etabliertes über Bord zu werfen, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Das Canvas ist das perfekte Modell, um genau das zu tun – mit klarem System und messbar.

Das Canvas gibt es hier gratis zum Download:

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Robin Sudermann

Robin Sudermann

Robin Sudermann ist CEO und Co-Founder des HR-Tech-Unternehmens talentsconnect. Seit Ende August 2022 schreibt er in seiner Kolumne "Eine Frage der Einstellung" über die kleinen und großen Anfänge am Arbeitsplatz und die Zukunft von Einstellungsverfahren.

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